I. ÜBERBLICK
Am 2. Dezember 2015, nach fast drei Jahren und 14 Verhandlungsrunden, gaben Präsident DonaldTusk, Präsident Jean-Claude Juncker und der vietnamesische Premierminister Nguyen Tan Dung denAbschluss der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen EU-Vietnam (EVFTA) bekannt.EVFTA ist ein Freihandelsabkommen der neuen Generation zwischen Vietnam und der EU. Am 26.Juni 2018 wurde EVFTA in zwei separate Abkommen aufgeteilt: das Freihandelsabkommen(EVFTA) und das Investitionsschutzabkommen (EVIPA). Im August 2018 schlossen die EU undVietnam die rechtliche Überprüfung EVFTA ab, wobei diese noch die Ratifizierung durch denEuropäischen Rat sowie die Zustimmung des Europäischen Parlaments benötigt, während die EVIPAnoch die zusätzliche Ratifizierung durch die Parlamente der einzelnen EU-Mitgliedstaaten erfordert.Am 30. Juni 2019 wurde in Hanoi EVFTA und EVIPA von der EU-Handelskommissarin CeciliaMalmstrom, dem rumänischen Wirtschaftsminister Stefan-Radu Oprea als Vertreter der EU,zusammen mit H.E. Premierminister Nguyen Xuan Phuc und vietnamesischen Regierungschefs,unterzeichnet. Der Premierminister brachte dabei seine Überzeugung zum Ausdruck, dass dasEuropäische Parlament, die Parlamente der EU-Mitgliedstaaten und die vietnamesischeNationalversammlung EVFTA und EVIPA bald ratifizieren werden. Beide Handels- undInvestitionsabkommen wurden am 12. Februar vom Europäischen Parlament gebilligt. Am 30. März2020 wurde EVFTA dann vom EU-Rat genehmigt, so dass die Umsetzung der EVFTA unmittelbarbevorsteht, sofern die vietnamesische Nationalversammlung auf ihrer Sitzung im Mai ihreZustimmung erteilt. Ein Inkrafttreten der EVFTA im Frühsommer diesen Jahres ist daherwahrscheinlich. Anders jedoch bei der EVIPA, welche für das Inkrafttreten von den Parlamenten derMitgliedstaaten gebilligt werden muss und daher länger dauern wird. Beide Abkommen werden voraussichtlich erhebliche Vorteile für Unternehmen, Arbeitnehmer undVerbraucher, sowohl in der EU als auch in Vietnam, mit sich bringen. Das vietnamesische BIP wirddabei voraussichtlich um 10 bis 15 Prozent steigen, während für die Exporte in den nächsten zehnJahren ein Wachstum von 30 bis 40 Prozent zu erwarten ist. In der Zwischenzeit könnten dieReallöhne von Facharbeitern um bis zu 12 Prozent steigen, während sich die Gehälter der einfachenArbeiter um 13 Prozent erhöhen würden. Sobald EVFTA in Kraft getreten ist und dieRegierungspolitik und die institutionellen Reformen diese umgesetzt haben, werden VietnamsGeschäftsaktivitäten einen Boom erleben. Dennoch bleiben einige Herausforderungen weiterhinbestehen. In dem folgenden Kapitel wird der Rechtsausschuss von EuroCham die für ihre jeweiligenBranchen relevanten Themen aufzeigen und spezifische Empfehlungen aussprechen, um bestehendenBedenken Rechnung zu tragen.
II. MARKTZUGANG FÜR WAREN- UND DIENSTLEISTUNGEN
1. Allgemeiner Marktzugang für Waren- und Dienstleistungen
EVFTA ist das umfassendste und ehrgeizigste Handels- und
Investitionsabkommen, welches die EUjemals mit einem asiatischen
Entwicklungsland geschlossen hat. Es ist nach dem mit
Singapurgeschlossenen Abkommen, das Zweite in der ASEAN-Region und
wird die bilateralen Beziehungenzwischen Vietnam und der EU
intensivieren. Vietnam wird dadurch Zugang zu einem
potenziellenMarkt von rund 446 Millionen Menschen und einem
Gesamt-BIP von 13.918 Milliarden US-Dollarhaben.Weiterhin werden
Exporteure und Investoren aus der EU weitere Möglichkeiten
haben, Zugang zueinem der größten und schnellsten
wachsenden Länder der Region zu erhalten. Einem Anfang
desJahres 2017 veröffentlichten Bericht zufolge, der 134
Städte weltweit umfasst, gehören Hanoi
undHo-Chi-Minh-Stadt zu den zehn dynamischsten Städten. Nicht
zuletzt aufgrund ihrer niedrigenKosten, der raschen Expansion des
Verbrauchermarktes, des starken Bevölkerungswachstums und
desÜbergangs zu Aktivitäten, welche eine
beträchtliche Anzahl von Direktinvestoren anziehen.
NachAngaben der Weltbank hat Vietnam mit einem BIP-Wachstum von
7,1% im Jahr 2018 und 6,7% zurJahresmitte 2019, eine der am
schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt.
Vergleichsweisezum Wachstum des BIP der USA, steigt das BIP
Vietnams dabei fast doppelt so schnell.Darüber hinaus hat
Vietnam die am schnellsten wachsende Mittelschicht der Region. Es
wirderwartet, dass sich ihre Größe zwischen 2014 und
2020 fast verdoppeln wird (von 12 Millionen auf 33Millionen
Menschen). Auch die superreiche Bevölkerung Vietnams
wächst weltweit so rasant wiekeine andere und es besteht kein
Zweifel daran, dass diese in den nächsten zehn Jahren
zunehmendgrößer werden wird.2. Marktzugang für
WarenBezüglich der Zölle ist zu beachten, dass nahezu
alle, nämlich über 99 Prozent, entfallen
werden.Diewenigen verbleibenden werden durch zollfreie Kontingente
teilweise liberalisiert. Bei Inkrafttretendes Abkommens wird
Vietnam als Entwicklungsland 65 Prozent des Wertes der EU-Exporte
nachVietnam liberalisieren, welches etwa der Hälfte der
Zolltarifpositionen entspricht. Die verbleibendenZölle werden
im Laufe der nächsten zehn Jahre abgebaut. Dies stellt eine
beispiellose, weitreichendeZollabschaffung für ein Land wie
Vietnam dar, welches damit sein Streben nach einer
tiefgreifendenIntegration und Handelsbeziehungen mit der EU unter
Beweis stellt.In der Zwischenzeit stimmte die EU zu, die Zölle
für 84 Prozent der Zolltarifpositionen und 71Prozent ihres
Handelswerts für aus Vietnam eingeführte Waren
unmittelbar nach Inkrafttreten vonEVFTA zu beseitigen. Innerhalb
von 7 Jahren nach Inkrafttreten von EVFTA werden mehr als 99Prozent
der Zolllinien für Vietnam abgeschafft worden sein. Im
Vergleich zu der Reduzierung derZolllinien in Höhe von 95
Prozent, welche die ehemaligen TPP-Länder für
vietnamesische Importeangeboten haben, ist diese Senkung weitaus
umfassender. In der ASEAN-Region ist Vietnam derHauptexporteur von
Waren in die EU. Allerdings ist der Marktanteil der vietnamesischen
Produkte inder EU ist immer noch gering. Die am meisten von der
EVFTA profitierenden Sektoren, werden dieseExportsektoren sein,
für die früher hohe Zölle aus der EU erhoben wurden,
wie beispielsweise solchefür Textilien, Schuhe und
landwirtschaftliche Erzeugnisse. Die EU ist dabei auch ein guter
Start fürVietnam, um andere Märkte zu erreichen.
Vietnam wird im Vergleich zu anderen derartigen Abkommen
stärker von EVFTA profitieren, daVietnam und die EU als zwei
sich unterstützende und ergänzende Märkte angesehen
werden. Vietnamexportiert nämlich Waren, die die EU nicht
selbst herstellt bzw. herstellen kann (z. B.Fischereierzeugnisse,
tropische Früchte usw.), während die aus der EU
importierten Produkte auchsolche sind, die Vietnam nicht im Inland
produziert, darunter Maschinen, Flugzeuge und
hochwertigepharmazeutische Produkte.Mit einem besseren Marktzugang
für Waren aus der EU könnten vietnamesische
Unternehmeneuropäische Materialien, Technologien und
Ausrüstungen zu einer besseren Qualität und einembesseren
Preis beziehen. Dies wiederum wird die eigene Produktqualität
verbessern und eineübermäßige Abhängigkeit
Vietnams von seinen anderen Haupthandelspartnern verringern.EVFTA
wird als Grundlage für die EU angesehen, um weitere
Freihandelsabkommen mit anderenLändern in der ASEAN-Region
abzuschließen, um darauf folgend, ein Freihandelsabkommen
vonRegion zu Region abzuschließen, sobald genügend
Freihandelsabkommen mit einzelnen ASEAN-Ländern abgeschlossen
wurden. Dieser Prozess könnte etwa 10-15 Jahre dauern. Vietnam
sollte daherdieses Zeitfenster als Chance nutzen sich zu einem
regionalen Drehkreuz zu entwickeln, bevorFreihandelsabkommen mit
anderen Ländern in der Region geschlossen werden und in Kraft
treten. 3. Marktzugang für EU-DienstleisterObwohl die
WTO-Verpflichtungen Vietnams als Grundlage für die
Dienstleistungsverpflichtungenvon EVFTA dienen, hat Vietnam nicht
nur zusätzliche Teilsektoren für
EU-Dienstleistungsanbietergeöffnet, sondern ist auch
Verpflichtungen eingegangen, die über die in der WTO
festgelegtenhinausgehen, um der EU den bestmöglichen Zugang
zum vietnamesischen Markt zu bieten. Zu denTeilsektoren, die nicht
Bestandteil der WTO sind, in denen Vietnam jedoch Verpflichtungen
imRahmen der EVFTA eingegangen ist, gehören
interdisziplinäre Forschungs- und Entwicklungsdienste(F &
E); Pflegedienste, Physiotherapeuten und paramedizinisches
Personal;Verpackungsdienstleistungen; Messen und Ausstellungen
sowie Gebäudereinigungsdienste.Wenn diese Dienstleistungen
internationale Standards erreichen, hat Vietnam die
Möglichkeit,qualitativ hochwertige Dienstleistungen zu
exportieren, welches nicht nur zu einer Steigerung desExportwertes,
sondern auch der Exporteffizienz führt und somit zur
Verbesserung der Handelsbilanzbeiträgt.III. ÖFFENTLICHES
BESCHAFFUNGSWESENVietnam hat weltweit eine der höchsten Quoten
der öffentlichen Investitionen im Verhältnis zum BIP(39
Prozent jährlich ab 1995). Bis jetzt hat Vietnam jedoch noch
nicht zugestimmt, dass seinöffentliches Beschaffungswesen
unter das Übereinkommen über das öffentliche
Beschaffungswesen(GPA) der WTO fällt. Nun hat sich Vietnam
erstmalig im EVFTA dazu verpflichtet.Die EVFTA-Verpflichtungen im
Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens betreffen in
ersterLinie die Verpflichtung, Bieter aus der EU oder
inländische Bieter mit EU-Investitionskapital gleichzu
behandeln wie vietnamesische Bieter, wenn die Regierung Waren
erwirbt oder eine Dienstleistunganfordert, deren Wert über dem
festgelegten Schwellenwert liegt. Vietnam verpflichtet sich,
die
allgemeinen Grundsätze der Inländerbehandlung und
Nichtdiskriminierung zu befolgen. Es wirdInformationen über
geplante Beschaffungen und Informationen zu der Auftragsvergabe in
Bao DauThau – Zeitung für öffentliche Aufträge
– sowie Informationen über das Beschaffungssystem
untermuasamcong.mpi.gov.vn und im Amtsblatt rechtzeitig
veröffentlichen. Außerdem wird denLieferanten
ausreichend Zeit eingeräumt, um Anträge auf deren
Teilnahme und reagierende Angebotevorzubereiten und einzureichen
und die Vertraulichkeit der Angebote zu wahren. EVFTA verlangtvon
seinen Parteien auch, dass sie Angebote auf der Grundlage fairer
und objektiver Prinzipienbewerten, diese nur auf der Grundlage von
Kriterien bewerten und vergeben, die inBekanntmachungen und
Ausschreibungsunterlagen festgelegt sind, und ein wirksames System
fürBeschwerden und die Beilegung von Streitigkeiten schaffen.
Diese Regeln verpflichten die Parteien,sicherzustellen, dass ihre
Ausschreibungsverfahren den Verpflichtungen entsprechen und ihre
eigenenInteressen schützen. Auf diese Weise kann Vietnam das
Problem lösen, dass Angebote von billigen,aber qualitativ
minderwertigen Dienstleistern gewonnen werden.Die öffentliche
Beschaffung von Gütern oder Dienstleistungen oder einer
Kombination davon, die diefolgenden Kriterien erfüllen,
fällt in den Geltungsbereich der EVFTA-Regeln für die
öffentlicheBeschaffung:KriterienEVFTAGeldwerte, die bestimmen,
ob dieBeschaffung durch dieZentralregierung unter einAbkommen
fälltAnfängliche Übergangsschwelle: 1,5 Millionen
SZR (2,23Millionen US-Dollar)Nach 15 Jahren 130.000
Sonderziehungsrechte (SDRs)(191.000 US-Dollar)Beschaffung von
Bauleistungendurch zentrale RegierungsstellenAnfänglicher
Schwellenwert: 40 Millionen SZR (58,77Millionen US-Dollar)Nach 15
Jahren 5 Millionen SDRs (7,35 Millionen US-Dollar)Erfasste
Einrichtungen22 zentrale Regierungsstellen42 weitere Einrichtungen
(darunter 2 staatlicheVersorgungsunternehmen, 2 Universitäten,
2Forschungsinstitute und 34 öffentliche Krankenhäuser
unterder Kontrolle des Gesundheitsministeriums)Berichterstattung
über die subzentrale Regierung:einschließlich Hanoi and
Ho Chi Minh CityAusschluss von Präferenzen fürKMUBreiter
Ausschluss
Schaffung von AusgleichenBasierend auf dem Wert eines AuftragsIV.
BEILEGUNG VON INVESTITIONSSTREITIGKEITENInvestitionsstreitigkeiten
könnten nun im Rahmen von EVIPA beigelegt werden. Bei
solchenStreitigkeiten (z.B. entschädigungslose Enteignung oder
Diskriminierung von Investitionen) kann einInvestor den Streitfall
dem Investment Tribunal zur Beilegung vorlegen. Um die Fairness
undUnabhängigkeit der Streitbeilegung zu gewährleisten,
wird ein ständiges Tribunal aus 9 Mitgliedernbestehen: jeweils
3 Staatsangehörige, die aus der EU und Vietnam ernannt werden,
sowie 3Staatsangehörige, die aus Drittländern ernannt
werden. Die Fälle werden von einem dreiköpfigenTribunal
verhandelt, das vom Vorsitzenden des Tribunals nach dem
Zufallsprinzip ausgewählt wird.Damit soll auch eine
kohärente Rechtsprechung in ähnlichen Fällen
gewährleistet und dieStreitbeilegung vorhersehbarer gemacht
werden. EVIPA lässt in einzelnen Fällen auch zu, dass
eineinzelnes Mitglied des Tribunals die Streitigkeit verhandelt,
wenn der Kläger ein kleines odermittleres Unternehmen ist oder
die Entschädigung für geschädigte Forderungen
relativ gering ist. Diesist ein flexibler Ansatz, wenn man bedenkt,
dass Vietnam immer noch ein Entwicklungsland ist.Falls eine der
Streitparteien mit der Entscheidung des Gerichts nicht
einverstanden ist, kann sie beimBerufungsgericht Berufung einlegen.
Dies unterscheidet sich zwar vom üblichen Schiedsverfahren,
istjedoch dem zweistufigen Streitbeilegungsmechanismus in der WTO
(Panel and Appellate Body) rechtähnlich. Dieser Mechanismus
könnte, unserer Meinung nach, Zeit und Kosten für das
gesamteVerfahren sparen könnte.Der endgültige Vergleich
ist bindend und von den örtlichen Gerichten hinsichtlich
seiner Gültigkeitdurchsetzbar, mit Ausnahme eines Zeitraums
von fünf Jahren nach Inkrafttreten von EVIPA (sieheweitere
Anmerkungen im Kapitel über den Rechtsweg des
Rechtssektorkomitees).V.FAZITSobald EVFTA und EVIPA von Vietnam
ratifiziert sind, werden sie ein nachhaltiges Wachstum
undgegenseitige Vorteile in mehreren Sektoren schaffen und ein
wirksames Instrument zum Ausgleichder Handelsbeziehungen zwischen
der EU und Vietnam sein. Vietnam unternimmt
kontinuierlicheAnstrengungen und Fortschritte, um die hohen
Standards der beiden Freihandelsabkommen zuerfüllen, und
bietet ausländischen Unternehmen in Vorbereitung auf den
Abschluss derFreihandelsabkommen derzeit größere
Möglichkeiten. Es ist jetzt an der Zeit, dass
ausländischeInvestoren ihre Geschäftspläne in
Angriff nehmen und die sich bietenden klaren Chancen nutzen.
Originally published 2 May 2020
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