Nachdem sämtliche Initiativen für einschneidende Gegenmaßnahmen als Antwort auf die US/EU-Sanktionen (Strafbarkeit von Sanktionsbefolgung, weitreichende Einfuhrverbote, Haftung bei grenzüberschreitender Übertragung sanktionsrelevanter Daten)1 seit einem Jahr zum Erliegen gekommen sind, wurde nun ein früherer Vorschlag zur Zuständigkeit russischer Gerichte bei Streitigkeiten mit gelisteten Personen wieder aufgegriffen2. Hierzu wurden am 8. Juni 2020 weitreichende Änderungen der russischen Arbitrazh(Wirtschafts)prozessordnung beschlossen, die am 19. Juni 2020 in Kraft treten werden3:

  • Für jegliche Streitigkeiten mit Beteiligung gelisteter russischer Personen sowie ausländischer juristischer Personen, die wegen gegenüber russischen Personen verhängter Sanktionen gelistet sind, wird ein besonderer Gerichtsstand in Russland begründet. Ein solcher Gerichtstand gilt ebenfalls bei Streitigkeiten zwischen russischen oder ausländischen Personen, die Sanktionen gegen russische Personen zum Gegenstand haben. Unklar ist, ob sich diese Regeln nur auf Personenlistungen oder auch auf sektorale Sanktionen erstrecken.
  • Zwar fallen diese Streitigkeiten nur dann in die ausschließliche Zuständigkeit der russischen Wirtschaftsgerichte, wenn sie nicht durch Vereinbarung der Parteien einem ausländischen Gericht oder internationalen Wirtschaftsschiedsgericht außerhalb Russlands zugewiesen wurden. Allerdings kann die Vereinbarung vernachlässigt werden, wenn sie nicht durchsetzbar ist, weil gegen einen der Verfahrensbeteiligten verhängte Sanktionen Hindernisse beim Zugang zum Rechtsschutz" begründen. Es lässt sich nicht ausschließen, dass diese unbestimmten Begriffe in der Praxis weit ausgelegt werden.
  • Gelistete russische und ausländische Personen (sowie Parteien in Streitigkeiten, die Sanktionen gegen russische Personen zum Gegenstand haben) werden so in vielen Fällen die Wahl haben, ob sie sich an ein russisches Wirtschaftsgericht wenden oder die Gerichtsstandvereinbarung/Schiedsklausel einhalten und ein Verfahren bei dem darin vereinbarten ausländischen staatlichen Gericht oder Schiedsgericht einleiten bzw. einem solchen Verfahren zustimmen. In den letzteren beiden Fällen stehen die neuen Regelungen einer Anerkennung und Vollstreckung des ausländischen Urteils oder Schiedsspruchs in Russland nicht entgegen.
  • Um die Gegenseite zur Beachtung des russischen Gerichtsstands zu zwingen, können die geschützten gelisteten Personen beim Wirtschaftsgericht beantragen, dass der Gegenseite die Einleitung oder Fortsetzung eines Verfahrens vor einem ausländischen Gericht oder internationalen Schiedsgericht untersagt wird. Zur Durchsetzung des Verbots kann der Gegenseite ein im Fall der Nichtbefolgung an die gelistete Person zu zahlendes Zwangsgeld auferlegt werden. Die Höhe des Zwangsgeldes liegt im Ermessen des Gerichts, darf den Umfang der streitigen Forderungen jedoch nicht überschreiten.

In den letzten Jahren haben russische Gerichte eine Rechtsprechung weiterentwickelt, die die Umsetzung der US/EU-Sanktionen in Russland erschwert4. Aufgrund der Gesetzesänderungen werden sich ausländische Unternehmen dieser Rechtsprechung bei der Durchsetzung von Ansprüchen gegen gelistete Personen und Rechten aus Sanktionsklauseln seltener entziehen können. Das wird insbesondere dann der Fall sein, wenn das ausländische Unternehmen über Vermögen in Russland verfügt oder das Urteil bzw. der Schiedsspruch in Russland zu vollstrecken wäre. Umso wichtiger ist es daher, Sanktionsklauseln sorgfältig im Einzelfall und unter Berücksichtigung der einschlägigen russischen Rechtsprechung auszugestalten.

Footnotes 

1  Siehe Russische Gegensanktionen: Jahresrückblick 2018 und Ausblick auf 2019 und Russische Staatsduma nimmt neue Gegensanktionen mit in die Sommerpause.

2  Der Gesetzesentwurf war von der Staatsduma in wesentlich anderer Form in der ersten Lesung bereits am 24. Juli 2019 angenommen worden.

3  http://publication.pravo.gov.ru/Document/View/0001202006080017

4  Siehe Russische Gegensanktionen: Jahresrückblick 2018 und Ausblick auf 2019.

Originally published 10.06.2020.

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