Key Take-aways
1. Für alle Schweizer Unternehmen gelten seit Inkrafttreten von Art. 964a ff. OR am 1. Januar 2022 gewisse Berichterstattungs- und Sorgfaltspflichten im Nachhaltigkeitsbereich.
2. Die EU setzte mit den Richtlinien CSRD und CSDDD zwischenzeitlich strengere Massstäbe, denen sich die Schweiz mit Revisions- und Initiativvorschlägen annähern wollte.
3. Die sich in der EU mit dem Anfang 2025 vorgeschlagenen “Omnibus”-Paket abzeichnende Kehrtwende in Richtung weniger Regulierung hat die Schweizer Revisionsabsichten jedoch für den Moment ausgebremst.
1 Einleitung
Schweizer Unternehmen müssen gestützt auf Art. 964a ff. OR verschiedene Berichterstattungs- und Sorgfaltspflichten in Bezug auf die Themen Environmental, Social, Governance (ESG) einhalten. Wie schon die Einführung dieser Regulierungen hängt auch deren künftige Entwicklung stark vom Geschehen im Ausland ab, namentlich in der EU. Dort wurde Anfang Jahr eine umfassende Vereinfachung der bestehenden Nachhaltigkeitsregulierungen vorgeschlagen – nicht zuletzt beeinflusst durch die in den USA mit dem Amtsantritt von Donald Trump erfolgte Deregulierung in diesem Bereich. Der vorliegende Newsletter gibt einen Überblick über die derzeit geltenden ESG-Berichterstattungs- und Sorgfaltspflichten für Schweizer Unternehmen sowie einen Ausblick auf die mögliche weitere Entwicklung.
2 Geltende Berichterstat- tungs- und Sorgfalts- pflichten in der Schweiz
2.1 Rechtsgrundlagen
Mit dem Scheitern der Konzernverantwortungsinitiative Anfang 2020 wurde der Weg frei für den damaligen indirekten Gegenvorschlag, der per 1. Januar 2022 in Kraft trat. Die dadurch neu eingeführten Bestimmungen in Art. 964a ff. OR regeln Transparenz und Verantwortung von Unternehmen in Nachhaltigkeitsbereichen und umfassen namentlich drei Themenbereiche:
- Transparenz über nichtfinanzielle Belange (Art. 964a – c OR): Berichterstattungspflichten über die unternehmerischen Aktivitäten in den Bereichen Umwelt, Soziales, Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung; konkretisiert durch die Verordnung zur verbindlichen Klimaberichterstattung von grossen Unternehmen;
- Transparenz bei Rohstoffunternehmen (Art. 964d – i OR): Berichterstattungspflichten über getätigte Zahlungen an staatliche Stellen im Zusammenhang mit der Gewinnung von Mineralien, Erdöl, Erdgas oder Holz aus Primärwäldern;
- Sorgfaltspflichten und Transparenz in Bezug auf Konfliktmineralien und Kinderarbeit (Art. 964j – l OR): Berichterstattungspflichten in Bezug auf die Erfüllung der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette; konkretisiert durch die Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit (VSoTr).
Die neuen Art. 964a ff. OR regeln Transparenz und Verantwortung von Unternehmen in Nachhaltigkeitsbereichen.
2.2 Geltungsbereich
Die gesetzlichen Vorgaben zur Berichterstattung über nichtfinanzielle Belange gelten für Unternehmen von öffentlichem Interesse (d.h. Publikumsgesellschaften, Banken, Versicherungen und kollektive Kapitalanlagen), die auf konsolidierter Basis in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren durchschnittlich mindestens 500 Vollzeitstellen aufweisen und zudem eine Bilanzsumme von CHF 20 Mio. oder einen Umsatzerlös von CHF 40 Mio. überschreiten.
Als Rohstoffunternehmen gelten solche, die zur ordentlichen Revision verpflichtet sind und im Bereich der Gewinnung von Mineralien, Erdöl, Erdgas oder Holzschlag in Primärwäldern tätig sind. Sie haben mit ihrer Aktivität zusammenhängende Zahlungen an staatliche Stellen von total mindestens CHF 100'000 pro Jahr offenzulegen.
Schliesslich haben grundsätzlich alle Unternehmen mit Sitz in der Schweiz, die sog. Konfliktmineralien (d.h. Zinn, Tantal, Wolfram oder Gold) aus Hochrisikogebieten in die Schweiz importieren oder hier bearbeiten oder Produkte oder Dienstleistungen anbieten, bei denen ein begründeter Verdacht auf Kinderarbeit besteht, die Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten bezüglich Konfliktmineralien und Kinderarbeit einzuhalten. Die VSoTr sieht diesbezüglich jedoch diverse Ausnahmen vor. Insbesondere sind KMU von den oben genannten Pflichten betreffend Kinderarbeit (nicht aber betreffend Konfliktmineralien) befreit – ausser wiederum, die Kinderarbeit ist offensichtlich.
2.3 Konsequenzen falscher Berichterstattun
Verwaltungsratsmitglieder von Unternehmen, die in den erwähnten Berichten (1)-(3) falsche Angaben machen oder die Berichterstattung unterlassen, müssen bei vorsätzlichem Handeln mit Bussen von bis zu CHF 100'000, bei fahrlässigem Verhalten mit Bussen von bis zu CHF 50'000 rechnen (Art. 325ter StGB).
Es drohen Bussgelder bis zu CHF 100'000 bei Verletzung der Berichtserstattungspflichten.
Unabhängig von den Berichterstattungspflichten gemäss Art. 964a ff. OR gilt seit 1. Januar 2025 für alle Unternehmen zudem ein ausdrückliches Verbot von «Greenwashing». Gemäss der neuen Bestimmung in Art. 3 Abs. 1 lit. x UWG handelt unlauter, wer Angaben über sich, seine Waren, Werke oder Leistungen in Bezug auf die verursachte Klimabelastung macht, die nicht durch objektive und überprüfbare Grundlagen belegt werden können. Als Angaben über die Klimabelastung kommen sowohl qualitative Aussagen (wie «nachhaltig», «klimaneutral», «grün» oder «CO2-neutral») als auch quantitative Angaben (wie CO2-Verbrauch, Treibhausgasemissionen oder Kompensationen) sowie prozessuale Informationen (wie die Be- schreibung der ergriffenen Massnahmen zur Reduktion der Klimabelastung) in Frage. Verletzungen gegen das UWG können sowohl zivil- als auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
3 Entwicklungen im Ausland
3.1 EU
In der EU ist in den letzten Jahren ein umfassendes Paket an ESG-Massnahmen entstanden. Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens von 2015 umzusetzen, hat die EU 2019 den «Green Deal» beschlossen, mit dem die Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden soll. Zwei zentrale ESG-Instrumente in diesem Zusammenhang sind die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD).
Die Schweiz bleibt von diesem Massnahmenpaket nicht unberührt. Es beeinflusst nicht nur die politische Diskussion, sondern betrifft unter Umständen auch Schweizer Unternehmen direkt: So sieht die CSRD vor, dass auch Drittlandunternehmen mit einer EU-Tochtergesellschaft oder EU-Zweigniederlassung von einer gewissen Grösse und einem Nettoumsatz von über EUR 150 Mio. in der EU den EU-Berichterstattungspflichten unterliegen. Sodann erfassen die Sorgfaltspflichten der CSDDD künftig Drittlandunternehmen mit einem EU-Umsatz von über EUR 450 Mio.
Ende Februar 2025 hat die EU-Kommission nun allerdings ein umfassendes «Omnibus»-Reformpaket vorgeschlagen, welches Vereinfachungen in Bezug auf die genannten Instrumente vorsieht und damit die Nachhaltigkeitsvorgaben lockert. Ziel des neuen Pakets ist es, die teilweise komplexen Vorgaben wieder zu entschlacken, praxisnäher zu gestalten, administrativen Aufwand zu verringern und die Unternehmen damit wirtschaftlich zu entlasten.
Das umfassende «Omnibus»- Reformpaket sieht eine Lockerung der Nachhaltigkeitsvorgaben auf EU-Ebene vor.
Zu den wichtigsten Änderungsvorschlägen bei der CSRD zählt der neue Schwellenwert von mindestens 1'000 Vollzeitstellen auf Konzernebene weltweit; Schätzungen zufolge soll dadurch die Anzahl der betroffenen Unternehmen um bis zu 80% sinken. Zudem soll das Inkrafttreten für bestimmte Unternehmen verschoben werden (stop the clock) und der Mindest-Nettoumsatz-Schwellenwert für Drittlandunternehmen auf EUR 450 Mio. steigen. Sodann sollen in der Wertschöpfungskette nicht mehr Daten von allen, sondern nur noch von bestimmten Lieferanten eingeholt werden müssen (value chain cap).
In Bezug auf die CSDDD sollen die Fristen zur Umsetzung ebenfalls verlängert und die Wertschöpfungskette auf direkte Geschäftspartner beschränkt werden. Darüber hinaus wurde vorgeschlagen, die Anwendbarkeitsschwelle auf 5‘000 Mitarbeitende und 1,5 Milliarden Euro Nettoumsatz anzuheben. Zudem ist die zivilrechtliche Haftung für Unternehmen und verantwortliche Personen nicht mehr zwingend, sondern wird der nationalen Umsetzung überlassen.
3.2 USA
Die jüngsten Entwicklungen in der EU sind wohl auch auf politische Veränderungen in den USA zurückzuführen. Unter der Trump-Administration sind die USA zum zweiten Mal aus dem Pariser Klimaabkommen ausgetreten, haben ihre Klimapolitik neu ausgerichtet und ihre ESG-Regeln angepasst. Diese Neuorientierung zeigt sich sowohl in der nationalen Politik als auch im internationalen Kontext. Ein Beispiel dafür ist die Reform der United States Agency for International Development (USAID), die unter anderem für Entwicklungshilfe zuständig ist, und deren Programme eingeschränkt, gestrichen oder neu ausgerichtet wurden. Weiter erfolgt eine Abkehr von sozialen Förderungsmassnahmen – insbesondere in den Bereichen Diversität, Gleichstellung und Inklusion (Diversity, Equity and Inclusion (DEI)). Im März 2025 wurde sodann mit dem «Protect USA Act of 2025» ein Gesetzentwurf vorgestellt, der Unternehmen, die für die nationalen Interessen der USA von wesentlicher Bedeutung sind, untersagen soll, ausländische Nachhaltigkeitspflichten – wie etwa jene der EU-CSDDD – umzusetzen.
Unter der Trump-Administration sind die USA zum zweiten Mal aus dem Pariser Klimaabkommen ausgetreten und haben ihre Klimapolitik und ihre ESG-Regeln neu ausgerichtet.
4 Zukunft der ESG-Regulierung in der Schweiz?
Mit den geltenden Berichterstattungs- und Sorgfaltspflichten von Art. 964a ff. OR hat sich die Schweiz für eine international abgestimmte Gesetzgebung entschieden. Diese Angleichung an das internationale, insbesondere europäische ESG-Regulierungsumfeld soll auch künftig beibehalten werden.
Im Sommer 2024 hat der Bundesrat die Vernehmlassung zu seinem Vorschlag, wie er die geltenden Art. 964a ff. OR an die strengeren Berichterstattungspflichten der CSRD angleichen will, eröffnet. Konkreter Gegenstand der Vorlage ist die Einführung neuer Art. 964a – cter E-OR (Transparenz über Nachhaltigkeitsaspekte), welche die bisherigen nichtfinanziellen Berichterstattungspflichten (1) ersetzen. Diese sind detaillierter und strenger und sollen zudem nicht nur wie bisher für Unternehmen von öffentlichem Interesse gelten, sondern allgemein auch für grosse Unternehmen, die zwei der folgenden Grössen in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren überschreiten: i) Bilanzsumme von mindestens CHF 25 Mio., ii) Umsatzerlös von mindestens CHF 50 Mio., iii) Jahresdurchschnitt von mindestens 250 Vollzeitstellen. Dadurch würde der Anwendungsbereich der Berichterstattungspflicht über nichtfinanzielle Belange von geschätzt heute 250, auf künftig ca. 3‘500 Unternehmen erweitert.
In Bezug auf die CSDDD hat der Bundesrat bereits 2023 eine Studie in Auftrag gegeben, welche deren Auswirkungen auf Schweizer Unternehmen analysieren soll.
Mit dem nun vorgeschlagenen EU „Omnibus“-Paket, das die Vorgaben der CSRD und der CSDDD lockert, werden die Karten neu gemischt. Die bisherige Grundlage für mögliche Verschärfungen der schweizerischen ESG-Regulierung ist nun überholt oder zumindest in Frage gestellt. Entsprechend hat der Bundesrat am 21. März 2025 zwar die Vernehmlassungsergebnisse zur vorgeschlagenen Revision von Art. 964a ff. OR sowie die aktualisierte Studie über die Auswirkungen der CSDDD zur Kenntnis genommen, gleichzeitig aber die Ausarbeitung von neuen Varianten für eine pragmatische Änderung der aktuellen Gesetzgebung in Auftrag gegeben. Über das weitere Vorgehen will der Bundesrat erst entscheiden, wenn die EU über ihre angekündigten Vereinfachungen entschieden hat, spätestens jedoch im Frühjahr 2026. Ein Alleingang der Schweiz mit strengeren Vorschriften als in der EU erscheint derzeit unrealistisch.
5 Schlussbetrachtung
Die Meinungen darüber, ob die bisherige ESG-Regulierung mehr Wort- als Wertschöpfung generiert, gehen auseinander. Der Rückzug der EU von ihren ursprünglich ambitionierten Zielen zeigt jedoch klar, dass die Umsetzung von Nachhaltigkeitsvorgaben in der Praxis oft komplexer ist als auf dem Papier, und dass es auch für den Gesetzgeber schwierig ist, pragmatische Vorgaben zu definieren. Mit der veränderten geopolitischen Lage hat das Momentum für eine umfassende Nachhaltigkeitsregulierung von Unternehmen sowie zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele auch in der Schweiz nachgelassen: Der Gesetzgeber hat seine strengeren Gesetzesrevisionsabsichten vorläufig eingestellt und wartet auf klarere Signale aus der EU.
Schweizer Unternehmen ist in dieser ungewissen Lage zu raten, die internationalen Entwicklungen eng zu verfolgen und sich über die aktuell für sie geltenden Nachhaltigkeitsbestimmungen umfassend zu informieren. Nur so können sie die für die Berichterstattung notwendigen Daten vollständig und rechtzeitig erheben, Sorgfaltspflichtverletzungen vermeiden und Strategien entwickeln, um die Umsetzung der ESG-Regulierungen zur Steigerung der unternehmerischen Wertschöpfung zu nutzen.
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