Im Gespräch. Staaten sollten ihre Entschuldung durch die Geldentwertung nicht auf dem Rücken der Anleger austragen, sagt DORDA-Steuerrechtexperte Paul Doralt.

Was ist eigentlich die finanzielle Repression? Wie ist es dazu gekommen?

Paul Doralt: Darunter versteht man ein Umfeld von Zinsen unter der Inflationsrate, um durch die Geldentwertung verbunden mit niedrigen Zinsen die Schuldenberge rascher abzutragen. Die Leitzinsen werden niedrig gehalten, damit sich die Staaten die Refinanzierung ihrer Schulden leichter leisten können. Dass die finanzielle Repression in der Eurozone die Folge eines Masterplans" ist, glaube ich nicht unbedingt. Die Währungsunion ist einfach in dieses Umfeld hineingerutscht, nachdem nach der Finanzkrise 2008 ein Umfeld geschaffen wurde, um verschuldete Länder vor der Staatspleite zu retten. Eigentlich wollte man schon länger aus diesem Umfeld heraus, jetzt sind wir aufgrund der Pandemie aber in der Situation, dass für Hilfspakete wieder frische Milliarden gedruckt werden müssen, der Inflationsdruck zugleich infolge von Lieferkettenproblemen und Rohstoff-Preissteigerungen weiter verstärkt wird. Die Folge ist für die privaten Haushalte wie die Anleger klar: Das Geld verliert real an Kaufkraft, fest verzinsliche Anlagen erwirtschaften keine realen Erträge mehr.

Wo geht diese Reise hin – fürimmer kann man ja nicht Geld drucken? Würden digitales Geld oder Kryptowährungen aus der Misere helfen? Oder wird es mittel- bis langfristig zur gefürchteten Währungsreform kommen?

Weil die Europäische Zentralbank (EZB) massiv als Käufer von Staatsanleihen auftritt, müssen die Staaten sich nicht um ihre Bonität kümmern. Das sollte den Staaten eine Atempause verschaffen, um ihre Haushalte wieder in Ordnung zu bringen. Langfristig verwässert aber dieses neue Geld das alte Geld, und führt damit zum Kaufkraftverlust. Die Ideen, den Geldkreislauf praktisch komplett zu digitalisieren, helfen dagegen auch nicht–zumal das meiste Geld heute schon nur mehr digital in den Computern der Zentralbank besteht.

Was bewirkt die Kombination aus Inflation und Niedrigzinsen für Anleger? Wie ändert sich ihre Steuerlast?

Durch die Inflation werden Anleger in spekulative Anlagen gedrängt – die Renditen auf Spareinlagen oder Staatsanleihen liegen ja weit unter der Inflationsrate. Langfristig ist auf der Bank geparktes Geld eine Kapitalvernichtung, daher müssen Anleger beginnen, ihr Kapital Richtung riskantere Investments zu verschieben. Aktien und Immobilien sind vorerst die Gewinner dieser Entwicklung, langfristig ist es aber nicht immer so, dass sie von einem inflationären Umfeld profitieren. Denn auch die börsennotierten Unternehmen kaufen ihre Rohstoffe und Dienstleistungen teurer ein.

Aus steuerlicher Sicht haben Investitionen in Aktien den Nachteil, dass Verluste am Aktienmarkt – und die wird es sicher auch geben – in Österreich nur innerhalb eines Kalenderjahres steuerlich geltend gemacht werden können. Das ist effektiv ein riesiger Nachteil, und das ist in anderen Ländern anders, deswegen wäre es mein Wunsch: Wenn Privatanleger schon von den Notenbanken und Regierungen in die Aktien-Spekulation gedrängt werden, sollte man sie auch fair behandeln und ihnen Verlustvorträge ermöglichen. Zumal die steuerlichen Aus-fälle daraus im Budget im Vergleich zu anderen Posten vernachlässigbar wären.

Wie könnte man Privatinvestoren im aktuellen Umfeld steuerlich besser behandeln?

Es gibt viele Modelle zur fairen Besteuerung in inflationären Zeiten. Ein Kernpunkt wäre, die Inflation zu berücksichtigen: Wenn heute jemand zwei Prozent Ertrag erzielt, liegt das bereits unter der Inflationsrate. Davon muss aber noch die KESt abgeführt werden. Fairer wäre, wenn Erträge nur insoweit der KESt unterliegen würden, als sie die Inflation übersteigen.

Auch wenn sich die Regierungskonstellation derzeit öfters ändert: Die ökosoziale Steuerreform 2022 ist beschlossen und kommt. Überwiegen die Vorteile oder die Nachteile für Anleger? Die von einigen geforderte Wiedereinführung der Spekulationsfrist von einem Jahr auf Aktienerträge wurde nicht eingeführt, aber der Gewinnfreibetrag attraktiver gemacht ...

Aus Anlegersicht hat sich durch die Steuerreform nicht viel geändert. Dass Investitionsgewinne mit der KESt besteuert werden, ist vernünftig und gerecht und ich glaube, dass die meisten schon vergessen haben, dass sie ihre Aktien-Kursgewinne früher nach einem Jahr Mindestbehaltefrist steuerfrei lukrieren konnten. Der Gewinnfreibetrag ist für Privatanleger nicht sehr relevant, zumal er ja nur für einen eingeschränkten Personenkreis zum Tragen kommt.

Aber ist es gerecht, bereits einmal versteuertes Vermögen nochmal über die Wertpapier-KESt oder die Immo-ESt zu besteuern?

Ja, weil es sich dabei um eine frische Investition handelt, die weitere Erträge generiert. Problematisch sehe ich bei der Einkommensteuer aber die kalte Progression: Wenn die hohe Inflation weiter anhält, werden die Menschen schneller über Steuerklassen rutschen, als sie schauen können.

Wie sollten sich Privatanleger in einem inflationären Umfeld positionieren?

Viele Privatanleger sind heute verzweifelt, weil sie merken: Die klassische Portfoliotheorie stimmt nicht mehr. Es könnte eine Phase kommen, wo die Inflation jahrelang bei fünf Prozent oder mehr liegt – bei gleichzeitig nicht vorhandenen Sparzinsen. Schulden zu machen ist in diesem Umfeld der anhaltend hohen Inflation das beste Investment: Die Schulden der Privaten werden ja genauso weginflationiert wie die der Staaten. Auch ist es ratsam, bestehende reale Assets eher nicht zu verkaufen.

Was heißt dieses Umfeld aber für die Akteure mit den meisten Schulden – also für die Staaten und die Regierungen?

An sich schmelzen die Schulden real weg. Aber es ist ein riskantes Spiel. Denn der Wert des Geldes basiert auf Vertrauen, daher müssen Staaten gegensteuern um einen Crash des Geldes zu verhindern: Sie sind gezwungen, ihre Schulden zu redu-zieren und sollten lieber auf Austerität setzen–was gerade im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld nicht einfach werden dürfte. Möglich ist auch, durch Steuererhöhungen Geld ins Budget zu spülen. Am effektivsten ist für das Budget eine Erhöhung der Umsatzsteuer, dort kann man um ein paar Prozentpunkte erhöhen und es hat riesige Effekte. Allerdings ist das auch am unsozialsten, weil es vor allem die Menschen mit niedrigem Einkommen trifft, die dieses komplett verkonsumieren.

Zuletzt wurde die Umsatzsteuer für bestimmte Warengruppen und Dienstleistungen aber gesenkt ... Taucht am Horizont wieder das Gespenst" der Vermögen- und Erbschaftssteuern auf?

Diese erscheinen politisch oft verlockend, weil man glaubt, damit wenig Wähler zu verärgern – wenn die Freigrenzen hoch genug angesetzt werden. Doch Superreiche könnte man mit solchen Maßnahmen nicht treffen: Wenn es etwa heißt, ab einer Million Euro Vermögen sind 30 Prozent Erbschaftssteuern abzuführen, wird jemand mit einer Milliarde Euro lieber ins Ausland umziehen, als 300 Millionen Euro Erbschafteuer zu bezahlen. Das sind dann einfach zu große Beträge. Sinnvoll sind solche Maßnahmen für den Standort auch eher nicht, weil große Vermögen ja nicht im Geldspeicher von Onkel Dagobert liegen, sondern in Form von Unternehmen oder Beteiligungen in der Volkswirtschaft kreisen und arbeiten–oft bilden große private Vermögen, die in Österreich investiert sind, die Basis für den Wohlstand und die Arbeitsplätze von Hunderttausenden.

Das heißt, wenn der Staat sparen muss, wird der Mittelstand leiden?

Budgetlöcher lassen sich am besten durch mehr Massensteuern und weniger Staatsausgaben schließen. Der Mittelstand leidet immer am meisten. Denn die Menschen mit niedrigerem Einkommen sind ja schon jetzt Nettoempfänger in unserem Sozialstaat. Objektiv betrachtet muss man aber auch sagen: Wir haben durch die Pandemie hinweg gut gelebt und den Stillstand der Wirtschaft nicht stark gespürt, weil der Staat stark geholfen hat. Wenn das vorbei ist, müssen wir ohne Hilfen leben lernen – und wieder mehr sparen und die Schulden zurückzahlen. Es ist am Ende eine Milchmädchenrechnung.

The content of this article is intended to provide a general guide to the subject matter. Specialist advice should be sought about your specific circumstances.