Art. 20 Abs. 2 VStG sieht seit dem 15. Februar 2017 vor, dass bei Dividendenausschüttungen und geldwerten Leistungen im inländischen und grenzüberschreitenden Konzernverhältnis das Meldeverfahren zwingend zuzulassen ist. Auch ohne Anpassung der VStV an die geänderte Rechtsgrundlage sollte die Bestimmung von der ESTV direkt angewendet werden.

1. EINLEITUNG

Der Sicherungscharakter der Verrechnungssteuer kann in vielen Fallen durch eine Meldung gleichermassen erfullt werden wie durch die Ablieferung und Ruckforderung der Verrechnungssteuer. Deshalb sieht Art. 20 VStG vor, dass die Verrechnungssteuerpflicht bei Kapitalertragen in gewissen Fallen auch durch Meldung erfolgen kann.

Der Anwendungsbereich des Meldeverfahrens ist sukzessive erweitert worden. Am 1. Januar 2001 wurde das Meldeverfahren fur Dividenden im inlandischen Konzernverhaltnis eingefuhrt1. Der Wortlaut von Art. 26a VStV (in der bis 31. Dezember 2008 geltenden Fassung) beschrankte den Anwendungsbereich auf ≪Bardividenden≫ im inlandischen Konzernverhaltnis. Deshalb liess die ESTV das Meldeverfahren nach Art. 26a VStV ursprunglich auch bloss bei Bardividenden im inlandischen Konzernverhaltnis zu2. Infolge von zwei Praxisanderungen der ESTV subsumierte die ESTV ab dem Jahr 2007 auch Interimsdividenden3 sowie Teilliquidationsdividenden4 unter Art. 26a Abs. 1 VStV.

In der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Anderung der Verordnung vom 15. Oktober 2008 wurde der Begriff ≪Bardividende ≫ durch ≪Dividende≫ ersetzt5, weshalb auch geldwerte Leistungen aus wesentlichen Beteiligungen in den Anwendungsbereich des Meldeverfahrens nach Art. 26a VStV aufgenommen wurden6.

Durch die am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Verordnung vom 22. Dezember 2004 uber die Steuerentlastung schweizerischer Dividenden aus wesentlichen Beteiligungen auslandischer Gesellschaften wurde das Meldeverfahren auch fur grenzuberschreitende Dividenden aus wesentlichen Beteiligungen eingefuhrt7.

Die gesetzliche Grundlage fur das Meldeverfahren in Art. 20 VStG blieb bis 2017 unverandert. Anderungen gab es bloss bei der Verordnung bzw. der Verwaltungspraxis. Mit der Gesetzesnovelle vom 15. Februar 2017 wurde der Gesetzeswortlaut von Art. 20 VStG vom Parlament neu gefasst, wahrend die Verordnungen keine Veranderungen erfuhren. Dies fuhrt nach hier vertretener Ansicht zu einer zwingenden Erweiterung des Anwendungsbereichs des Meldeverfahrens bei geldwerten Leistungen im Konzernverhaltnis.

2. AUSGANGSPUNKT: ART. 20 VSTG (A. F.)

Der bis zum 14. Februar 2017 geltende Wortlaut von Art. 20 VStG sah Folgendes vor: ≪Wo bei Kapitalertragen die Steuerentrichtung zu unnotigen Umtrieben oder zu einer offenbaren Harte fuhren wurde, kann dem Steuerpflichtigen gestattet werden, seine Steuerpflicht durch Meldung der steuerbaren Leistung zu erfullen; die Verordnung umschreibt die Falle, in denen dieses Verfahren zulassig ist.≫ Art. 20 VStG [a. F.] war demnach als reine Delegationsnorm ausgestaltet8. Die vom Bundesrat diesbezuglich erlassene Verordnung war abschliessend zu verstehen9. Art. 20 VStG [a. F.] war nicht als Generalklausel zu begreifen, wonach die ESTV in Hartefallen oder in Fallen, wo die Steuerentrichtung zu unnotigen Umtrieben fuhren wurde, das Meldeverfahren bewilligen konnte.

Die Tatbestande, welche fur die Anwendung des Meldeverfahrens bei Kapitalertragen qualifizierten, waren somit abschliessend in der Verrechnungssteuerverordnung (VStV) geregelt. Einschlagig waren die Art. 24 ff. VStV sowie die Verordnung uber die Steuerentlastung schweizerischer Dividenden aus wesentlichen Beteiligungen auslandischer Gesellschaften vom 22. Dezember 200410. Diese sahen die Anwendung des Meldeverfahrens in folgenden Fallen vor:

  • Bei einer in einem Vorjahr fallig gewordenen Leistung, welche anlasslich einer amtlichen Kontrolle oder Buchprufung geltend gemacht wird (Art. 24 Abs. 1 lit. a VStV; vgl. dazu Teil 2 Ziff. 6.1);
  • Bei der Ausgabe von Gratisaktien und dergleichen (Art. 24 Abs. 1 lit. b VStV; vgl. dazu Teil 2 Ziff. 6.2);
  • Bei Naturaldividenden (Art. 24 Abs. 1 lit. c VStV; vgl. dazu Teil 2 Ziff. 6.3);
  • Bei Sitzverlegung ins Ausland (Art. 24 Abs. 1 lit. d VStV; vgl. dazu Teil 2 Ziff. 6.4);
  • Bei Teilliquidation beim Ruckkauf eigener Aktien (Art. 24a VStV);
  • Bei Dividenden an inlandische Muttergesellschaft (Art. 26a VStV);
  • Bei Dividenden an auslandische Muttergesellschaft nach Verordnung vom 22. Dezember 2004 (StEntlV).

Daneben gibt es Falle, in denen die ESTV ein sogenanntes ≪verwaltungsinternes Meldeverfahren≫ durchfuhrt (so z. B. beim verrechnungssteuerlichen Fusionsverlust). Dabei handelt es sich um eine besondere Form des Meldeverfahrens, bei dem ausnahmsweise auf die Einreichung der fur das Meldeverfahren vorgesehenen amtlichen Formulare verzichtet und stattdessen auf die Korrespondenz zwischen Steuerpflichtigen und Steuerverwaltung (z. B. im Rahmen eines Rulings) abgestellt wird.

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Footnotes

1) Art. 26a VStV (AS 2000, 2994).

2) Vgl. Merkblatt S-025.116 der ESTV vom Januar 2001 betreffend Gesuch um Meldung statt Entrichtung der Verrechnungssteuer fur Dividenden aus Beteiligungen im schweizerischen Konzernverhaltnis.

3) ESTV, 18. 4. 2007, in: Praxis der Bundessteuern, Art. 26a VStV Nr. 6.

4) ESTV, 18. 4. 2007, (Fn. 3), Art. 26a VStV Nr. 7.

5) AS 2008, 5073.

6) ESTV, 11. 2. 2009, (Fn. 3), Art. 26a VStV Nr. 11.

7) SR 672.203.

8) Vgl. Max Kramer, Die Voraussetzungen des Meldeverfahrens bei Kapitalertragen, ASA 54 (1985/1986), 329 ff., 334; Robert Pfund, Verrechnungssteuer, I. Teil, Art. 20 N 5; Baumgartner/Bossart Meier, in: Zweifel/Beusch/Bauer-Balmelli (Hrsg.), Kommentar VStG, 2. Auflage, Basel 2012, Art. 20 VStG N 3.

9) BGE 94 I 472 = ASA 37 (1968/1969), 389 ff.

10) SR 672.203. Ferner die Verordnungen zum DBA-USA (SR 672.913.610), DBA-Deutschland (SR 672.933.61).

Originally published by ExpertFocus, Ausgabe 12/2020, S. 978 ff..

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