Abstract
Im europäischen Bankenabwicklungsrecht gilt der Grundsatz des » no creditor worse off « ( NCWO ). Nach diesem Prinzip hat bei der Anwendung von Abwicklungsinstrumenten » kein Gläubiger [ ... ] größere Verluste zu tragen, als er im Fall einer Liquidation [ ... ] im Wege eines regulären Insolvenzverfahrens [ ... ] zu tragen gehabt hätte. « Das NCWO-Prinzip orientiert sich an Obstruktionsverboten des Restrukturierungs- und Insolvenzrechts ( zB » best interest « nach US-Chapter 11 ). Die Forschungsarbeit diskutiert sowohl die Hintergründe als auch die Bedeutung dieses » prudentiellen « Obstruktionsverbots für das europäische Bankenabwicklungsregime aus mehreren Perspektiven.
Schlagworte
Bankenabwicklung, Insolvenz, no creditor worse off, Chapter 11, Obstruktionsverbot
Rechtsnormen
Art 15 Abs 1 lit g SRM-V, Art 34 Abs 1 lit g BRRD
I. Einleitung
Als eine bedeutende Reaktion auf die Finanzkrise 2007 bis 2009 hat der europäische Gesetzgeber einschlägige Bestimmungen zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen eingeführt. Banken von » öffentlichen Interesse «, dies sind in der Praxis insb systemrelevante Kreditinstitute, sollen in einer Krise demnach nicht mehr, wie in der Vergangenheit häufig der Fall, vom Staat, und damit zulasten des Steuerzahlers, aufgefangen werden müssen ( bail out ). Stattdessen sollen spezielle Regelungen, konkret jene der Bankenabwicklung gelten. Ein solches Rahmenwerk erweitert den prudentiellen Charakter des Finanzmarktaufsichtsrechts, welches sich va durch präventive Instrumente, hohe Flexibilität der Behörden und entsprechende Anreizstrukturen ( zB risikobasierte Ordnungsnormen etwa im Falle von Eigenmittelberechnungen ) kennzeichnet. Solche finanzmarktrechtlichen Sonderregelungen sollen aber nicht nur Belastungen des Fiskus verhindern, sondern auch strukturellen Fehlanreizen bei den Beaufsichtigten ( moral hazard1 wie zB too big to fail ) entgegenwirken. Für diese Zwecke hat der europäische Gesetzgeber im Jahr 2014 die Richtlinie 2014 / 59 / EU ( » BRRD «; geltend für den gesamten EWR )2 und die Verordnung ( EU ) Nr 806 / 2014 ( » SRM-V «; geltend nur für die Eurozone / Bankenunion )3 erlassen. Mit der SRM-V wird ein einheitlicher Abwicklungsmechanismus in der Eurozone und mit dem Single Resolution Board eine supranationaler Abwicklungsausschuss für signifikante Bankengruppen ( SRB; der » Ausschuss « ) eingerichtet.
Das europäische Abwicklungsregime arbeitet unter der Prämisse, dass das reguläre Insolvenzrecht, das zwischen den nationalstaatlichen Jurisdiktionen weiterhin stark divergiert, grundsätzlich nicht effektiv in der Lage ist, einen kontrollierten Marktaustritt von Finanzdienstleistern von » öffentlichen Interesse « gewährleisten zu können.4 Zu stark und zu komplex seien die internationalen Verflechtungen im Geldmarkt, Zahlungsverkehr und der Wertpapierabwicklung.5 Zu schwer wägen die Folgen des Ausfalls kritischer Funktionen, zB der Kreditvergabe und dem Einlagengeschäft. Für diese Zwecke seien Abwicklungsinstrumente wie das bail-in-Instrument ( Beteiligung der Eigentümer und bestimmter Gläubiger am Verlust und der Rekapitalisierung des Unternehmens, zB durch Herabschreibung und / oder Umwandlung der Forderungen ) und Transferstrategien ( share oder asset deal, inkl Einrichtung von Brückeninstituten und / oder Abbaugesellschaften [ Good & Bad Banks6 ] ) grundsätzlich besser geeignet. Die Abwicklungsinstrumente orientieren sich sichtlich an bekannten Restrukturierungsinstrumenten, in denen die betroffenen Parteien die Sanierung eines Unternehmens durch Restrukturierungs- oder Insolvenzplan herbeiführen können.
Im Abwicklungsregime sind die präferierten Abwicklungsstrategien und Instrumente seitens der Abwicklungsbehörden präventiv in einem ( Gruppen- ) Abwicklungsplan ( vgl Art 8 SRM-V ff, Art 10 BRRD ff ) zu dokumentieren.7 Trotz dieser umfangreichen behördlichen Vorarbeiten gilt im europäischen Bankenabwicklungsrecht das Primat des Insolvenzrechts. So darf der SRB die Abwicklungsinstrumente grundsätzlich nur dann anwenden ( bzw nationale Abwicklungsbehörden anweisen, diese anzuwenden ), wenn die gesetzlich verankerten Abwicklungsziele ( Art 14 Abs 2 SRM-V ) dadurch besser als durch ein Insolvenzverfahren erreicht werden ( vgl Art 18 Abs 5 SRM-V ). Eine entsprechende Beurteilung durch die Behörde ist ex-ante durchzuführen. Im CMDI-Paket zur Abänderung der SRM-V und der BRRD ( » Reform of bank crisis management and deposit insurance framework « )8 schlägt die Europäische Kommission ( im Folgenden: COM ) eine Kehrtwendung dahingehend vor, dass nun das ( hypothetische ) Insolvenzverfahren bessere Ergebnisse als das präferierte Abwicklungskonzept bringen müsste, um eine Abwicklung als unzulässig einzustufen.
Als zentraler Grundsatz für Abwicklungsbehörden gilt das in Art 15 Abs 1 lit g SRM-V bzw Art 34 Abs 1 lit g BRRD normierte Prinzip des » no creditor worse off « ( NCWO ). Demnach hat bei der Anwendung von Abwicklungsinstrumenten
» kein Gläubiger [ ... ] größere Verluste zu tragen, als er im Fall einer Liquidation [ ... ] im Wege eines regulären Insolvenzverfahrens nach Maßgabe der in Artikel 29 vorgesehenen Schutzbestimmungen zu tragen gehabt hätte. «
Es scheint sich materiell um ein Obstruktionsverbot analog Restrukturierungs- bzw insolvenzrechtlicher Bestimmungen, zB best interest nach US Chapter 11 oder § 245 InsO ( » Schlechterstellungsverbot « ) zu handeln. Im Unterschied zu klassischen Obstruktionsverboten iZm Restrukturierungs- oder Insolvenzplänen werden im europäischen Abwicklungsregime den Gläubigern ( im Falle einer Bank womöglich tausende Einleger ) oder den Anteilseignern aber keine Mitspracherechte zuerkannt. Demgegenüber verpflichten die gesetzlich determinierten allgemeinen Abwicklungsgrundsätze die Behörden, die Interessen der Gläubiger angemessen zu wahren, zB unnötige Wertvernichtungen zu verhindern. Die Schutzbestimmung nach Art 15 Abs 1 lit g SRM-V ( NCWO ) könnte entsprechend als prudentielles Obstruktionsverbot zugunsten jener Gläubiger wirken, deren Rechte durch die Vollziehung von Abwicklungsinstrumenten beeinträchtigt wurden. Sichtlich wird dies etwa beim bail-in-Instrument, da der Umfang der Herabschreibung und / oder der Umwandlung von Forderungen im Grundsatz nur soweit erfolgen dürfte, soweit » keine Schlechterstellung von Gläubigern als bei einem regulären Insolvenzverfahren « eintritt. Demgegenüber werden in der SRM-V und BRRD spezifische Kompensationsansprüche zugunsten potentiell schlechter gestellter Gläubiger verankert ( Art 29 SRM-V iVm Art 75 BRRD ), was die normative Bindungswirkung des Grundsatzes potentiell relativiert. Angesichts der Vielzahl unterschiedlicher gesetzlicher Determinanten, die eine Abwicklungsbehörde zu beachten hat, erscheint insgesamt fraglich, wie sich der Grundsatz zu den Abwicklungszielen ( Gewährleistung der Finanzmarktstabilität ) und anderen Grundsätzen ( Verlustkaskade, Gleichbehandlung ) verhält.
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Footnotes
* Die Forschungsarbeit basiert auf der Masterarbeit des Autors mit dem Titel » : No creditor worse off 9 : Das prudentielle Obstruktionsverbot nach Art 15 Abs 1 lit g SRM-Verordnung in rechtsdogmatischer und rechtsvergleichender Betrachtung «, eingereicht an der Universität Heidelberg im August 2023, Legum Magister Unternehmensrestrukturierung ( LL.M. corp. restruc. ).
1. Siehe dazu Engelbach / Friedrich, WM 2015 Heft 14, 662 ( 662 ).
2. Richtlinie 2014 / 59 / EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen ( » BRRD « ), ABl L 173, 12. 6. 2014, S 190–348.
3. Verordnung ( EU ) Nr 806 / 2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung ( EU ) Nr 1093 / 2010, ABl L 225, 30. 7. 2014, S 1–90.
4. Zur Begriffsabgrenzung vgl Engelbach / Friedrich, WM 2015 Heft 14, 662 ( 663 ).
5. Siehe zu den gleichwertigen Diskussionen iZm UNCITRAL schon Wessels in Haentjens / Wessel, Cross-Border Bank Resolution, 171.
6. Vgl Chattopadhyay, Der Vorschlag für eine Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten, WM 2013 Heft 9, 410.
7. Siehe schon BCBS, Report and Recommendations of the Cross-border Bank Resolution Group, 31 f ( Rn 94–97 ); in einem solchen beurteilt die Abwicklungsbehörde im Übrigen auch schon das » öffentliche Interesse « ( vgl Part in Kammel / Schütz, BaSAG § 49 Rn 9 ).
8. Siehe insb COM / 2023 / 226 und COM / 2023 / 227.
Originally published by Jan Sramek Verlag, 2023.
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