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29 September 2025

Vollstreckung von ausländischen Massnahmeentscheiden

BK
Bär & Karrer

Contributor

Bär & Karrer is a renowned Swiss law firm with more than 170 lawyers in Zurich, Geneva, Lugano and Zug. Our core business is advising our clients on innovative and complex transactions and representing them in litigation, arbitration and regulatory proceedings. Our clients range from multinational corporations to private individuals in Switzerland and around the world.
Die Vollstreckung eines ausländischen Massnahmeentscheids in der Schweiz erfordert zunächst dessen Anerkennung und - sofern durch die Natur des Entscheides bedingt...
Switzerland Litigation, Mediation & Arbitration

A Ausländische Entscheide in der Schweiz

I Einleitung

Die Vollstreckung eines ausländischen Massnahmeentscheids in der Schweiz erfordert zunächst dessen Anerkennung und - sofern durch die Natur des Entscheides bedingt - auch dessen Vollstreckbarerklärung durch ein schweizerisches Gericht.1 Erst dadurch werden die Wirkungen des Entscheids auf die Schweiz erstreckt und er wird der inländischen Zwangsvollstreckung zugänglich.

Was durch staatsvertragliche und innerstaatliche Normen detailliert geregelt ist, kann sich in der Praxis als kompliziertes und mühseliges Unterfangen erweisen. Das liegt zum einen an der Natur der vorsorglichen Massnahme selbst, die – im Gegensatz zu einem endgültigen Urteil – lediglich der vorläufigen Sicherung des Hauptanspruchs dient. Zum anderen sind trotz der relativ dichten Normierung zentrale Fragen der Vollstreckung vorsorglicher Massnahmen, insbesondere im Anwendungsbereich des IPRG, bisher gerichtlich nicht geklärt.

Besondere Herausforderungen bereiten vorsorglichen Massnahmen, die dem schweizerischen Recht fremd sind. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, wie das mit der Anerkennung und Vollstreckung befasste Gericht eine sachgerechte Umsetzung der ausländischen Massnahme ins Schweizer Recht gewährleisten kann. Solche Schwierigkeiten treten regelmässig bei vorsorglichen Massnahmen des englischen Rechts auf, namentlich bei der Worldwide Freezing Order («WFO») und der Anti-Suit Injunction.

Dieser Beitrag setzt sich mit der Vollstreckung dieser Institute in der Schweiz auseinander. Dabei wird zunächst das allgemeine Regelwerk zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheide – mit besonderem Fokus auf vorsorglichen Massnahmen – in Erinnerung gerufen. Anschliessend wird im zweiten Teil auf die Besonderheiten bei der Vollstreckung der WFO und der Anti-Suit Injunction eingangen.

II Gesetzliche Grundlagen für die Anerkennung und ­Vollstreckbarerklärung

1 Völkerrechtliche Verträge, insbesondere das LugÜ

Die Anerkennung, die Vollstreckbarerklärung und die Vollstreckung ausländischer Entscheide richten sich nach der ZPO, soweit weder ein völkerrechtlicher Vertrag noch das IPRG etwas anderes bestimmen.2

Der für die Schweiz praktisch bedeutsamste völkerrechtliche Vertrag im Bereich der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen ist das Lugano Übereinkommen («LugÜ»). Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich daher auf die Anerkennung und Vollstreckung unter dem LugÜ.

Seit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union am 31. Januar 2020 ist das LugÜ für die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen britischer Gerichte nur noch bedingt anwendbar.3 Damit rückt das IPRG als Rechtsgrundlage für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus dem Vereinigten Königreich wieder in den Vordergrund.

Am 1. Januar 2025 ist für die Schweiz das Haager Gerichtsstandsübereinkommen («HGÜ») in Kraft getreten, das ebenfalls Bestimmungen zur Vollstreckung enthält.4 Dessen Anwendungsbereich beschränkt sich aber auf die Vollstreckung von Entscheiden von Gerichten, deren Zuständigkeit auf einer ausschliesslichen Gerichtsstandsvereinbarung beruht.5 Auf die Bestimmungen des HGÜ wird daher im Folgenden nicht näher eingegangen.

1.1 Anerkennung

Unter dem LugÜ setzt die Anerkennung materiell eine Entscheidung i.S.v. Art. 32 LugÜ voraus, die vollstreckbar ist.6 Zudem darf der Anerkennung kein Verweigerungsgrund entgegenstehen.7

Entscheide über vorsorgliche Massnahmen gelten unbestritten als Entscheidungen im Sinne des LugÜ und sind daher anerkennungs- und vollstreckungsfähig.8 Allerdings ergeben sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs («EuGH») gewisse Einschränkungen. Insbesondere verlangt der EuGH, dass dem Beklagten im Massnahmeverfahren das rechtliche Gehör gewährt wurde. Dies schliesst superprovisorische Massnahmen von vorhinein aus.9 Soweit der Massnahmeentscheid auf einem nach Art. 31 LugÜ vorbehaltenen nationalen Massnahmegerichtsstand beruht, muss er die vom EuGH in Van Uden10 und Mietz11 entwickelten Kriterien erfüllen.

1.2 Vollstreckbarerklärung

Die Vollstreckbarkeit ausländischer Entscheide kann inzident, d.h. vorfrageweise, oder alternativ, auf Antrag der Gläubigerin in einem selbstständigen Exequaturverfahren nach Art. 38 ff. LugÜ, überprüft werden.12

Das selbstständige Exequaturverfahren hat für die Gläubigerin den Vorteil, dass sie mit dem erstinstanzlichen Exequaturentscheid unmittelbar einen unbedingten, sich direkt aus dem LugÜ ergebenden Anspruch auf Massnahmen zur Sicherung der Vollstreckung («Sicherungsmassnahmen») hat (Art. 47 Ziff. 2 LugÜ).13 Verbunden mit dem Umstand, dass der Schuldnerin erst im Beschwerdeverfahren das rechtliche Gehör gewährt wird und damit ein Überraschungseffekt zu ihren Lasten eintritt, macht dies das selbstständige Exequaturverfahren für die Gläubigerin besonders attraktiv.

Das innerstaatliche Recht bestimmt, welche Massnahmen zur Verfügung stehen und deren Modalitäten.14 Es darf die Anordnung jedoch nicht an zusätzliche Voraussetzungen knüpfen.15 In der Schweiz erfolgt die Sicherung von Forderungen, die auf Geld oder Sicherheitsleistung lauten mittels Titel-Arrest gemäss Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 SchKG.16 Die Sicherung von Nichtgeldleistungen richtet sich demgegenüber nach Art. 340 ZPO.17

Überdies räumt Art. 47 Ziff. 1 LugÜ der Gläubigerin die Möglichkeit ein, bereits vor Erlass des Exequaturentscheids vorsorgliche Massnahmen zu beantragen. Im Unterschied zu Art. 47 Ziff. 2 LugÜ besteht dieser Anspruch nur, wenn die Voraussetzungen des innerstaatlichen Rechts erfüllt sind.18

1.3 Rechtsmittel

Gegen den Exequaturentscheid stellt das LugÜ in Art. 43 Ziff. 1 LugÜ einen Rechtsbehelf zur Verfügung. In der Schweiz ist dies die Beschwerde gemäss Art. 319 ff. ZPO, die beim oberen Gericht des Kantons einzulegen ist (vgl. Art. 43 Ziff. 2 LugÜ i.V.m. Anhang III). Art. 327a ZPO modifiziert die Beschwerde in einigen Aspekten, damit sie den Vorgaben des LugÜ genügt. Im Rechtsmittelverfahren wird der Schuldnerin erstmals das rechtliche Gehör gewährt (vgl. Art. 43 Ziff. 3 LugÜ). Gegen den Rechtsmittelentscheid steht der Schuldnerin bzw. der Gläubigerin gestützt auf Art. 44 LugÜ i.V.m. Anhang IV die Beschwerde an das Bundesgericht offen.

Bei einer inzidenten Prüfung der Anerkennung und Vollstreckbarkeit findet Art. 43 LugÜ und damit Art. 327a ZPO hingegen keine Anwendung.19 Als Rechtsmittel steht die Beschwerde gemäss Art. 319 ff. ZPO zur Verfügung.

2 IPRG20

3 Anerkennung

Im Anwendungsbereich des IPRG setzt die Anerkennung eines ausländischen Entscheids nach Art. 25 lit. a-c IPRG voraus, dass das Erstgericht indirekt zuständig war,21 der Entscheid endgültig ist22 bzw. kein ordentliches Rechtsmittel mehr dagegen offensteht23 und kein Verweigerungsgrund24 vorliegt.

Nach herrschender Auffassung in der Lehre sind Entscheide über vorsorgliche Massnahmen unter dem IPRG mangels Endgültigkeit i.S.v. Art. 25 lit. b IPRG nicht anerkennungs- und vollstreckungsfähig.25 In einzelnen Fällen sieht das IPRG die Anerkennung von ausländischen sichernden Massnahmen jedoch ausdrücklich vor (z.B. Art. 96 Abs. 3 IPRG).26

Das Bundesgericht hat die Frage bisher offengelassen.27 In der kantonalen Rechtsprechung wurde die Frage zuletzt im Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 14. Oktober 2024 aufgeworfen, jedoch ebenfalls offengelassen.28

3.4 Vollstreckbarerklärung

Das IPRG sieht wie das LugÜ die Möglichkeit vor, die Vollstreckbarkeit des ausländischen Entscheids entweder in einem selbstständigen Exequaturverfahren (Art. 29 Abs. 1 IPRG) oder inzident (vgl. Art. 29 Abs. 3 IPRG) erklären zu lassen.29

Ein zentraler Unterschied zum LugÜ besteht darin, dass das IPRG keine besonderen Vorschriften zu Sicherungsmassnahmen enthält. Einen Anspruch auf solche Massnahmen kann der Gesuchsteller im Anwendungsbereich des IPRG daher einzig aus Art. 340 ZPO bzw. (aufgrund Art. 335 Abs. 2 ZPO) aus dem SchKG ableiten.30

3.5 Rechtsmittel

Gegen den Anerkennungs- und Vollstreckbarentscheid, der im selbstständigen Exequaturverfahren ergangen ist, steht die Beschwerde gemäss Art. 319 ff. ZPO offen.31 Dies ist auch der Fall, wenn die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung inzident im Rechtsöffnungsverfahren erfolgt (Art. 319 i.V.m. Art. 309 lit. b Ziff. 3 ZPO und Art. 81 Abs. 3 SchKG).

4 Vollstreckung

Völkerrechtliche Verträge enthalten regelmässig keine Regelungen betreffend die eigentliche Vollstreckung der anerkannten und für vollstreckbar erklärten Entscheidung. Mangels entsprechender Vorschriften im IPRG richtet sich die Vollstreckung in der Schweiz daher nach innerstaatlichem Recht.32 Das schweizerische Recht kennt dabei ein dualistisches System, bei dem nach der Art des Anspruchs unterschieden wird. Realansprüche werden nach den Bestimmungen der ZPO vollstreckt, während Geldansprüche nach den Vorschriften des SchKG vollstreckt werden.33 Von der eigentlichen Vollstreckung müssen im Anwendungsbereich des LugÜ die Massnahmen zur Sicherung der Vollstreckung gemäss Art. 47 Ziff. 2 LugÜ abgegrenzt werden.

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