Das Schweizer Bundesgericht hat klargestellt, dass ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 7 Kartellgesetz (KG) eine Wettbewerbsschädigung voraussetzt. Es hat zudem klargestellt, dass ein Verhalten, um missbräuchlich zu sein, effektiv potentiell geeignet sein muss, eine Wettbewerbsschädigung bzw. eine Verdrängungswirkung zu erzeugen. Ein bloss hypothetisches Potential der Wettbewerbsschädigung reicht nicht aus.
Ausgangslage
In der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts war unklar gewesen, ob ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 7 KG nur dann vorliege, wenn das Verhalten den Wettbewerb beschränke, und wenn ja, welche Anforderungen an den Nachweis der Wettbewerbsschädigung zu stellen seien:
Im Fall Hallenstadion/Ticketcorner von 2020, der einen Koppelungsfall (also einen Fall, in dem der Marktbeherrscher den Bezug eines seiner Produkte vom Bezug eines zweiten Produkts abhängig macht) betraf, schien das Bundesgericht zu verlangen, dass das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens "objektiv wettbewerbswidrige Auswirkungen"1 habe.
Im Fall SIX Group/DCC von 2022, der ebenfalls einen Koppelungsfall betraf, schien das Bundesgericht die Wettbewerbsschädigung bereits in einer nicht durch objektive Gründe gerechtfertigten Koppelung zu erblicken. Das Bundesgericht zitierte zustimmend die Auffassung der Vorinstanz, dass es keines Nachweises einer Wettbewerbsschädigung oder einer Wettbewerbsverfälschung bedürfe. Das Bundesgericht hielt fest, eine "auswirkungsbezogene Analyse" sei nicht erforderlich; es genüge die "Gefahr des Eintritts des missbilligten Erfolgs"2. Das SIX Group/DCC-Urteil konnte so gelesen werden, dass ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung auch ohne Wettbewerbsschädigung vorliegen könne. Das Urteil wurde deshalb kritisiert.
Präzisierung der Rechtsprechung
Im im April 2025 veröffentlichten Urteil Vifor Pharma Participations/HCI Solutions präzisierte das Bundesgericht deshalb seine Rechtsprechung. Es hielt zweierlei fest:
WETTBEWERBSSCHÄDIGUNG ALS
MISSBRAUCHSVORAUSSETZUNG
Das Bundesgericht stellte zunächst klar, dass eine Wettbewerbsschädigung eine Voraussetzung für den Befund einer Missbräuchlichkeit sei. Fraglich sei nur, welche Anforderungen an den Nachweis der Wettbewerbsschädigung zu stellen seien.3
ANFORDERUNGEN AN DEN NACHWEIS EINER
WETTBEWERBSSCHÄDIGUNG
Was die Anforderungen an den Nachweis einer Wettbewerbsschädigung anbelangte, verwies das Bundesgericht zunächst auf die Rechtsprechung des EuGH.4
Effektive potentielle Eignung
Gestützt darauf hielt das Bundesgericht fest, dass eine bestimmte Verhaltensweise entsprechend dem "effects-based approach" "effektiv potentiell geeignet" sein müsse, eine Wettbewerbsschädigung bzw. eine Verdrängungswirkung zu erzeugen. Die Gefahr nachteiliger Wettbewerbseffekte müsse aufgrund sämtlicher konkreter Umstände tatsächlich bestehen. Insgesamt müsse es aufgrund sämtlicher, konkreter Umstände des Einzelfalls und auf der Basis einer gesamtheitlichen Betrachtung plausibel sein, dass eine beanstandete Verhaltensweise (wie beispielsweise gewisse Vertragsklauseln) den Konkurrenten vom Markt verdrängen oder fernhalten würden. 5
Dies bedeute auch, dass sich die Wettbewerbsbehörden mit Beweismitteln des marktbeherrschenden Unternehmens, welche eine wettbewerbsschädigende Wirkung entkräften würden, konkret auseinandersetzen müssten.
Zudem sei zu prüfen, ob das marktbeherrschende Unternehmen eine Strategie verfolge, um die Konkurrenz vom Markt zu verdrängen.
Das Bundesgericht grenzte die Anforderung der effektiv potentiellen Eignung auf zwei Seiten hin ab:
Keine effektive Verdrängung erforderlich
Auf der einen Seite hielt das Bundesgericht fest, dass die Wettbewerbsbehörden nicht verpflichtet seien, nachzuweisen, dass eine Verhaltensweise die Konkurrenz effektiv bzw. erfolgreich vom Markt verdrängt habe oder in welchem konkreten Ausmass (z.B. anhand von Marktanteilsverlusten oder Umsatzeinbussen) der Wettbewerber oder besser gesagt der Wettbewerb geschädigt werde. In diesem Sinne sei eine auswirkungsbezogene Analyse nicht erforderlich.
Hypothetisches Potential nicht ausreichend
Auf der anderen Seite genüge für den Nachweis nicht eine bloss hypothetische Gefahr oder ein bloss hypothetisches bzw. theoretisches Potential der Wettbewerbsschädigung.
So genüge etwa die blosse Feststellung, das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens werde von einem der im Beispielskatalog von Art. 7 Abs. 2 KG enthaltenen Missbrauchstatbestände erfasst, nicht. Die Gefahr der Wettbewerbsschädigung dürfe nicht bloss abstrakter Natur sein. Eine Verhaltensweise sei nicht alleine aufgrund ihrer Form bzw. per se missbräuchlich, sondern müsse tatsächlich geeignet sein, andere Wettbewerber zu verdrängen.
Ausblick
Die Präzisierung der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist zu begrüssen. Damit ist zumindest klargestellt, dass das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung kein abstraktes Gefährdungsdelikt darstellt, wie dies teilweise vertreten worden war.
Es wird sich allerdings weisen müssen, wie hoch die Anforderungen an die "effektiv potentielle Eignung" in der Praxis tatsächlich sind. Auffällig ist diesbezüglich, dass der EuGH eine Eignung zur Wettbewerbsschädigung verlangt, während das Bundesgericht eine "effektiv potentielle" Eignung zur Wettbewerbsschädigung genügen lässt
Footnotes
1 BGer, Urteil vom 12. Februar 2020, 2C_113/2017, E. 6.1 (2C_113/2017 12.02.2020 - Schweizerisches Bundesgericht).
2 BGer, Urteil vom 2. November 2022, 2C_596/2019, E. 8.6 (2C_596/2019 02.11.2022 - Schweizerisches Bundesgericht).
3 BGer, Urteil vom 23. Januar 2025, 2C_244/2022, E. 10.1 (2C_244/2022 23.01.2025 - Schweizerisches Bundesgericht).
4 BGer, Urteil vom 23. Januar 2025, 2C_244/2022, E. 10.2 (2C_244/2022 23.01.2025 - Schweizerisches Bundesgericht)
5 BGer, Urteil vom 23. Januar 2025, 2C_244/2022, E. 10.3 (2C_244/2022 23.01.2025 - Schweizerisches Bundesgericht).
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