Der Stellenwert von Innovation hat bei Schweizer Behörden und in der Politik nachgelassen. Sie fokussieren zu sehr auf Gefahren und Risiken.
Die Schweiz steht an einem Scheideweg in ihrer Innovationspolitik. Während die technologischen Fortschritte und die Digitalisierung in rasantem Tempo voranschreiten, zeigt die zweijährliche Erhebung der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, dass der Anteil der Unternehmen, die in Forschung und Innovation investieren, tendenziell rückläufig ist. Zudem fokussiert sich auch die nationale Strategie zunehmend auf die Risiken statt auf die Chancen. Diese Entwicklung wirft die Frage auf, ob die Schweiz ihre Wettbewerbsfähigkeit und Position als Innovationsführer bewahren kann.
So zeigt sich im Schweizer Parlament ein deutlicher Trend: Ein Grossteil der im laufenden Jahr eingereichten Vorstösse rund um das Thema Innovation und Digitalisierung beschäftigt sich mit den Risiken im Zusammenhang mit neuen Technologien, beispielsweise im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) oder Cybersicherheit.
«In den neuen strategischen Zielen der Finma fehlt Innovation nahezu vollständig.»
Nur eine Minderheit der Vorstösse thematisiert auch die erfreulichen Aspekte und das Potenzial der Innovation, wie zum Beispiel der Vorstoss von Ständerat Matthias Michel, der ein innovatives Umfeld für KI-Testing und -Förderung verlangt, oder derjenige von Nationalrat Andri Silberschmidt, der eine Steigerung der Effizienz von Verwaltungsprozessen durch Prozessautomatisierung und künstliche Intelligenz wünscht. Dies steht in starkem Kontrast zu den Herausforderungen, denen die Schweiz gegenübersteht, besonders angesichts ihrer wirtschaftlichen Struktur und ihres Bedarfs an kontinuierlicher Innovation, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Wandel in der Regulierung
Ein prägnantes Beispiel für diesen Wandel ist die Finanzmarktaufsicht Finma, die kürzlich ihre strategischen Ziele für die Periode 2025 bis 2028 bekanntgegeben hat. Auffällig ist, dass das bisherige Innovationsziel, das in der vorherigen Periode eine zentrale Rolle spielte, nun nahezu vollständig fehlt. Stattdessen legt die Finma den Fokus klar auf die Risikominimierung und die Stabilität zur Sicherheit der Finanzmarktteilnehmer. In der gesamten Strategie taucht der Begriff «Innovation» lediglich im einleitenden Teil auf, und selbst dort wird er unmittelbar in Verbindung mit den Risiken dargestellt, die mit neuen Technologien einhergehen.
Dieser Wandel ist mit Blick auf das Umfeld des Schweizer Finanzplatzes zumindest teilweise verständlich. Die Ereignisse um den Untergang von Credit Suisse und der zunehmende internationale Druck, beispielsweise im Bereich der Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung, haben die Prioritäten verschoben. Das bevorstehende FATF-Länderexamen 2024 bis 2027 trägt in diesem Bereich zu einer entsprechenden Fokussierung bei, da die Schweiz eine Platzierung auf einer grauen Liste vermeiden will.
Trotz der damit naturgemäss verbundenen Unsicherheiten und Risiken ist Innovation eine treibende Kraft für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Der Mangel an Innovationskraft bzw. ein zu starker Fokus auf Risiken, die mit neuen Technologien und Konzepten einhergehen, birgt selbst erhebliche Risiken.
Stillstand ist Rückschritt
So bedeutet Stillstand in einer dynamischen, globalisierten Wirtschaft oft Rückschritt. Volkswirtschaften, die Innovationen meiden, stagnieren langfristig meistens. Unternehmen und Länder, die sich Innovationen verweigern, riskieren, von innovativeren Konkurrenten überholt zu werden. Wachstum basiert auf Fortschritt – sei es technologisch, gesellschaftlich oder wirtschaftlich. Andernfalls droht auch die Abwanderung von Talenten, denn innovative Köpfe und hoch qualifizierte Fachkräfte bevorzugen Unternehmen und Länder, die neue Ideen fördern und ihnen Raum zur Entwicklung geben.
Eine innovationsfeindliche Strategie führt oft zu einem Brain Drain. Aber nicht nur Talente, sondern auch Investoren können verloren gehen. Ein Rückstand in Technologien kann das Vertrauen von Kunden und Partnern in die Innovationskraft eines Landes nachhaltig beeinträchtigen. Schliesslich schaffen Innovationen oft völlig neue Geschäftsfelder und Einnahmequellen. Eine Verweigerung von Innovationen zur Vermeidung von Risiken kann dazu führen, dass diese Chancen ungenutzt bleiben.
Ein Blick auf die Entwicklungen in der Blockchain-Technologie und der Distributed-Ledger-Technologie (DLT) zeigt exemplarisch, wie schnell ein technologiegetriebener Vorsprung verloren gehen kann, wenn die Innovationskraft nicht konsequent genutzt und ausgebaut wird.
Die Schweiz war 2021 mit der Einführung eines weltweit einzigartigen DLT-Gesetzes Vorreiter in der Regulierung von Blockchain-Anwendungen. Dieses Gesetz, das klare rechtliche Grundlagen für sogenannte Digital Assets schuf, verschaffte ihr einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. Zahlreiche Start-ups und etablierte Unternehmen im Blockchain-Bereich siedelten sich in der Schweiz an, insbesondere im sogenannten Crypto Valley in der Region Zug und Zürich.
«Die Schweiz ist in ihrem Innovationstempo zurückgefallen.»
Doch während andere Länder, wie die EU oder Singapur, in den vergangenen Jahren regulatorisch nachgezogen haben, ist die Schweiz in ihrer Innovationsgeschwindigkeit zurückgefallen. Vor allem die USA könnten nach den Präsidentschaftswahlen und mit einer damit einhergehenden potenziell innovationsfreundlicheren bzw. chancenorientierteren Haltung zu einem noch stärkeren Konkurrenten werden. Für ein kleines Land wie die Schweiz, das nicht über einen grossen Binnenmarkt verfügt, ist die Standortattraktivität von entscheidender Bedeutung. Sie muss agiler, schneller und mutiger sein als grössere Volkswirtschaften, um ihre Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern.
Aufruf zur Ausgewogenheit
Die Risiken eines Mangels an Innovationskraft sind insbesondere für die Schweiz, deren Wirtschaft stark auf Export und globale Vernetzung angewiesen ist, enorm. Der technologische Fortschritt und die zunehmende Digitalisierung verlangen, dass Unternehmen und Behörden mutige Schritte in Richtung Innovation wagen. Eine Strategie, die allzu stark auf Risikovermeidung setzt, kann langfristig nicht erfolgreich sein. Es müssen regulatorische Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Innovation fördern, und Unternehmen müssen ermutigt werden, neue Technologien zu adaptieren.
Es ist offensichtlich, dass eine verstärkte Fokussierung auf Risiken unter Umständen notwendig sein kann, um Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten. Gleichzeitig ist es wichtig, Innovationen und ihr Potenzial ausreichend zu gewichten und das Risiko eines Mangels an Innovationskraft nicht zu unterschätzen.
Nur durch eine ausgewogene und mutige Innovationspolitik kann die Schweiz ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern und gleichzeitig die Sicherheit und das Vertrauen der Bevölkerung in neue Technologien gewährleisten. Es liegt an den politischen Entscheidungsträgern, ein Umfeld zu schaffen, das sowohl die Chancen als auch die Risiken von Innovation berücksichtigt und so die Schweiz als führenden Innovationsstandort stärkt.
Originally published by FuW.
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