Was hat Königsberg mit Basel, was mit Paris und was mit Florenz zu tun? Nichts, würden bildungsbürgerliche Spötter antworten, denn Königsberg hat – vor 300 Jahren - mit Immanuel Kant den freiheitlichen Aufklärungsphilosophen und ortsverhafteten Weltenbürger schlechthin hervorgebracht, während die Bewohner der anderen drei Städte in erster Linie sich selbst als solche sehen.
Alles, würde der dialektisch geschulte Laudator einwenden: In Basel ist sie geboren, in Paris hat sie studiert und in Florenz hat sie geforscht, unsere diesjährige Preisträgerin. Und dass in einem Kant-Jahr ein Freiheitspreis an eine Persönlichkeit verliehen wird, deren runder Geburtstag in diesem Jahr – Zufall oder nicht - ein Teiler von 300 ist, und deren Schaffen, deren Wirken, deren Leben Freiheit ist, ist somit nichts weniger als die logische Konsequenz.
Nicht auf Anhieb logisch ist, dass wir heute eine Publizistin ehren. Denn der Trias der Kant'schen Lehre ist selten geworden im heutigen Journalismus: Das Sapere aude («Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen») hat einen schweren Stand im quotengetriebenen Kampf um die Aufmerksamkeit. Der kategorische Imperativ ist ersetzt durch woken Meinungsjournalismus. Und die erkenntnistheoretische Synthese - «Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind" - droht im Einheitsbrei zu versinken.
Wäre da nicht die NZZ-Redaktorin Katharina Fontana. Katharina Fontana, die «Tante bei der alten Tante an der Falkenstrasse», wie sie sich selbst in ironischer Bescheidenheit bezeichnet, wenn sie den Kollegen die Leviten liest und mahnt, dass man beim Thema Bargeld nicht zuerst an Steuerhinterziehung denken solle, sondern an die Privatsphäre der Bürger; dass das Wort Steuergeschenk auf den "Index" gehöre und man Ungleichheit nicht mit Ungerechtigkeit gleichsetzen könne.
Darin kann der Stiftungsrat weder etwas Altmodisches noch etwas Tantenhaftes sehen. Vielmehr erkennen wir eine blitzgescheite und mutige Juristin, die beim grossen Verfassungsrechtler Kurt Eichenberger über «Die Gesetzgebung in Italien» dissertierte. Was aber, so hoffen wir, nicht der Grund ihrer lebenslangen Faszination für die Italianità ist, der sie durch häufige Aufenthalte im Tessin frönt. Denn sie kommt in ihrer Arbeit über den Rechtsstaat Italien zum Schluss: Das Gesetz hat seinen generell-abstrakten Charakter verloren, die partikuläre Einflussnahme führt zu einer Normenflut ohne Kohärenz. Als sie ihre Arbeit vor 30 Jahren veröffentlichte, hatte Italien noch einen Exklusivanspruch auf diesen Befund. Inzwischen hat die Schweiz ausserordentlich autonom und ausserordentlich perfektionistisch nachvollzogen. Wir haben es schon so weit gebracht, dass wir 2 Beschleunigungserlasse erlassen, statt Paragrafen abzuschaffen, wenn die Energiewende am Gesetzesdschungel zu scheitern droht.
Dass Katharina Fontana das Jus-Studium nach dem Ausschlussprinzip wählte - die Romanistik war ihr zu brotlos, die Naturwissenschaften waren ihr zu Zahlen lastig - sehen wir der späteren unbestechlichen Bundesgerichtskorrespondentin ebenso nach wie den Grund für die Themenwahl bei der Dissertation: Kurt Eichenberger schlug ihr den schweren Stoff damals vor, damit sie an einer Sitzung niemand mit der Sekretärin verwechseln werde.
Immerhin hat er ihr später auch geholfen, ihrem Interesse am politischen Journalismus zu folgen und vom Bundesamt für Justiz zur NZZ zu wechseln. Bis sie sich als NZZ-Neuling vom etatistischen Verwaltungsdenken definitiv verabschiedet hatte, dauerte es allerdings einen Moment. Anfänglich gab es Friktionen mit dem Wirtschaftsressort und einem unserer früheren Preisträger: Geri Schwarz hatte die neue Mitarbeiterin zunächst stark im Verdacht, links zu sein.
Diesen Verdacht würde heute – nach ihrem vierjährigen Abstecher zur Weltwoche - kaum noch einer hegen. Vielmehr werden ihr Prädikate wie «libertär» und «konservativ» an den Kopf geworfen. Beides ficht sie wenig an und wenn, dann ihrer Familie wegen. Weil: Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.
Katharina Fontana muss niemandem beweisen, dass sie selbständig denkt und handelt – sie hat es ihr ganzes Leben getan und war in manchen Rollen eine Pionierin. Sie ging als erste der Familie an die Universität. Sie war die erste berufstätige Mutter in der NZZ-Redaktion, weil beide Eltern sich um die beiden Töchter Victoria und Valentina kümmern wollten. Und sie lebte während 23 Jahren in wilder Ehe mit ihrem Mann Tiziano Giabardo zusammen - geheiratet wurde erst letztes Jahr. Katharina Fontana ist seit 2021 als Senior Editor wieder bei der NZZ – keine Alterserscheinung, sondern eine Auszeichnung - und, so darf der geneigte und aufmerksame Leser annehmen, ein Freipass für Grundsatzthemen und ein Steilpass für Tiefe. Denn sie schreibt über Vieles und sie tut es stilistisch elegant mit ausgesprochen spitzer Feder. Vor allem aber argumentiert sie mit kühler Vernunft, wo andere gefühlige Empörung kultivieren. «Die Vernunft», sagt der junge Philosoph Markus Gabriel, «ist das Vernehmen von Sätzen, die dem Verstand erscheinen. Der Verstand hantiert mit den Sätzen, die uns einfallen. Die Vernunft hingegen vernimmt den Zusammenhang von Sätzen, die nicht aus den Sätzen folgen. Die Vernunft ist der Sprung über den Satz hinaus.».
Sätze, die zum Sprung über den Satz einladen, formuliert auch sie:
Die Eltern im Laufgitter
Der Staat als Frauenversteher
Die Dolce Vita Gesellschaft
Die Gymnasien als Lehrstätten für Klimakleber
Alles Titel unserer Preisträgerin. Alles verständliche Beiträge. Alles vernünftige Artikel. Ich bin versucht zu titeln: Ka(n)tharina Fontana, die Vernünftige.
Dieser kleine rhetorische Manierismus würde, so vermute ich stark, das Lektorat der Gepriesenen nicht überstehen. Denn sie ist – ganz Baslerin - ebenso direkt wie klar in ihren Aussagen. Ka(n)tharina Fontana, die Nüchterne.
Das Widerspenstige, dieses gegen den Strich bürsten, diese Unabhängigkeit von Mode und Zeitgeist beeindruckt den Stiftungsrat ebenso wie der Umstand, dass sich ihr innerer Kompass konsequent an den kant'schen Tugenden von Freiheit, Selbstverantwortung und Bescheidenheit orientiert.
Die Skepsis gegen den staatlichen Paternalismus, der vorsorgt und vorschreibt, sitzt schon seit Kindesbeinen tief in ihr: Alles, was «von denen in Bern oben» kommt, wurde am Familientisch sehr kritisch kommentiert. Das kritische und genaue Hinschauen sind bis heute geblieben:
- Darum die vier für Katharina Fontana aufschlussreichen und für uns Leser wohltuend sachlich-informativen Jahre, in denen sie als NZZ-Korrespondentin am Bundesgericht tätig war. O-Ton-Preisträgerin: «In Bern wird über jeden Hinterbänkler berichtet, doch was am obersten Gericht passiert und wie die Richter gewisser Abteilungen sich über Volksinitiativen oder Gesetze hinwegsetzen, läuft vielfach unter Ausschluss der Öffentlichkeit.» Schon lange hat sie erkannt, dass die dritte Gewalt zunehmend ein Eigenleben ausserhalb demokratischer und medialer Kontrolle führt. Dass sich Gerichte anmassen, in den politischen Diskurs einzugreifen.
- Darum die kritische Pandemie-Bilanz zu einem Zeitpunkt als die meisten von uns längst zur maskenlosen Tagesordnung übergegangen waren: «Ältere und Kinder haben unnötig gelitten, Milliarden wurden verpulvert, und die Behörden informierten oft manipulativ. Die Schweiz braucht kein «Corona-Sondertribunal», wie ein aufgebrachtes Initiativkomitee fordert. Es reicht, dass die «Corona-Chefs» seriös Bilanz ziehen und sich nicht mit dem Hinweis begnügen, eine fantastisch hohe Zahl an Gesetzen erlassen zu haben oder besser gewesen zu sein als andere Länder.»
Um die Freiheit geht es. Um das Vermögen, zwischen mehreren "alternativen Alternativen" zu wählen, um noch einmal Markus Gabriel zu zitieren. «Freiheit nicht als Grund, sondern als Abgrund, in den wir blicken, wenn wir nicht wissen, was wir tun oder denken sollen» Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen.
Das Kant-Jahr und dieser Fontana-Preis sollen Auf- und Weckruf für die Vernunft sein:
Für den gesunden Menschenverstand als Fundament.
Für die Verhältnismässigkeit als Markstein.
Für die Freiheit als Aussichtspunkt.
Yes, we can oder yes we Kant.
Wir brauchen Lösungen für die echten Herausforderungen statt einer Bewirtschaftung von Pseudoproblemen.
Wir brauchen nachhaltige Wohlstandsvermehrung durch Technologiefortschritt statt flugschamverbrämten Placeboverzicht.
Hier hilft meinungsstarker Einordnungsjournalismus Fontana'scher Prägung. Auf einen Nenner gebracht: Egal ob Print oder Online, Hauptsache NZZ, Hauptsache Fontana.
Der Stiftungsrat der Bonny Stiftung für die Freiheit verleiht den mit CHF 100'000 dotierten Freiheitspreis an die mutig-kantige, sachlich-nüchterne Freiheitsidealistin Katharina Fontana.
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