Key Take-aways
- Am 1. Januar 2025 treten die revidierten Bestimmungen der ZPO und das Haager Gerichtsstandsübereinkommen in Kraft.
- Die Änderungen in der ZPO betreffen unter anderem das Kostenrecht, das Beweisrecht, das Schlichtungsverfahren und die internationale Handelsgerichtsbarkeit.
- Das Haager Gerichtsstandsübereinkommen stärkt die Verbindlichkeit ausschliesslicher Gerichtsstandsvereinbarungen in internationalen Zivil- und Handelssachen.
1 Einleitung
Am 1. Januar 2025 treten die revidierten Bestimmungen der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) und das Haager Gerichtsstandsübereinkommen (HGÜ) in Kraft. Bahnbrechende Änderungen in der ZPO bleiben insoweit aus, als vorerst keine Regelungen zum kollektiven Rechtsschutz eingeführt werden (vgl. hierzu unseren Newsletter vom Februar 2022). Dennoch erfährt das binnenrechtliche und internationale Zivilprozessrecht der Schweiz mit Beginn des kommenden Jahres eine vielschichtige und stellenweise überraschende Fortentwicklung.
Erklärtes Ziel der Teilrevision der ZPO ist die "Verbesserung der Praxistauglichkeit und der Rechtsdurchsetzung". Betroffen sind über 75 Bestimmungen der ZPO; neben der Nachführung bzw. stellenweisen Korrektur der bundesgerichtlichen Rechtsprechung werden unter anderem neue Regeln zu den Gerichtskosten, zum Schlichtungsverfahren, zum Berufsgeheimnisschutz für Unternehmensjuristen und zur Schaffung internationaler Handelsgerichte eingeführt.
Sodann stärkt der Gesetzgeber mit der Inkraftsetzung des vor fast 25 Jahren in Den Haag abgeschlossenen internationalen Gerichtsstandsübereinkommens die Verbindlichkeit ausschliesslicher Gerichtsstandsvereinbarungen in internationalen Zivil- und Handelssachen.
Im Folgenden wird zum Anlass des Inkrafttretens eine Auswahl von insbesondere aus Unternehmenssicht relevanten Änderungen der ZPO vorgestellt. Umrissen werden zudem der Anwendungsbereich und die Kernelemente des HGÜ.
2 Wichtige Änderungen in der ZPO
2.1. Abbau von Kostenschranken und -risiken
Neu können Gerichte von der klagenden Partei einen Vorschuss von noch höchstens der Hälfte, statt wie bisher der gesamten mutmasslichen Gerichtskosten verlangen. Mit dem Abbau dieser Kostenschranke zu Beginn des Verfahrens soll der Zugang zum Recht erleichtert werden. Allerdings gibt es gewichtige Ausnahmen, namentlich in summarischen Verfahren (ausgenommen vorsorgliche Massnahmen) und im Rechtsmittelverfahren. Zudem bleibt die kantonale Tarifhoheit unangetastet. Die teilweise substantiellen Unterschiede bei den kantonalen Grundgebühren bleiben mithin auch in Zukunft bestehen.
Verbessert wird die Stellung der klagenden Partei sodann mit Blick auf die Liquidation der Prozesskosten. Bisher konnten Gerichte ihre Kosten selbst dann aus dem von der Klägerin geleisteten Vorschuss beziehen, wenn diese ganz oder teilweise obsiegte. Damit trug die Klägerin das Inkassorisiko gegenüber der unterlegenen Beklagten. Neu wird der Vorschuss an die obsiegende Klägerin zurückbezahlt; die Eintreibung der Gerichtskosten obliegt mithin zukünftig dem Staat.
Relevant mit Blick auf die Vorschusspflicht und das Kostenrisiko ist ferner eine neue Bestimmung zum Streitwert der Widerklage: Hat der Kläger eine Teilklage erhoben, werden die Prozesskosten und damit auch der Vorschuss – jedenfalls, wenn der Teilklage mit einer Widerklage auf (negative) Feststellung des Nichtbestands der gesamten Forderung begegnet wird – ausschliesslich auf der Grundlage des Streitwerts der Teilklage berechnet (Art. 94 Abs. 3 ZPO). Diese erst in der parlamentarischen Beratung eingeführte Bestimmung hält das Kostenrisiko für den Kläger bei Teilklagen weiterhin begrenzt, erleichtert aber gleichzeitig der Beklagten die Abwehr, weil sie widerklageweise auf Feststellung des Nichtbestands der gesamten Schuld klagen kann, ohne selbst vorschusspflichtig zu werden.
Der Kostenvorschuss beträgt neu höchstens die Hälfte der mutmasslichen Gerichtskosten.
2.2. Mitwirkungsverweigerungsrecht für Unternehmensjuristen
Neu können sich im Zivilprozess neben (externen) Rechtsanwälten auch Unternehmensjuristen, d.h. Angestellte eines unternehmensinternen Rechtsdienstes, auf ein Mitwirkungsverweigerungsrecht berufen, soweit berufsspezifische Tätigkeiten in Frage stehen und der Rechtsdienst unter der Leitung einer Person mit Anwaltspatent steht (Art. 167a ZPO). Gestützt auf diese Bestimmung können namentlich Zeugenaussagen und die Edition von Urkunden verweigert werden. Die Editionspflichten in der ZPO sind indessen ohnehin beschränkt. Das neue Mitwirkungsverweigerungsrecht zielt daher vor allem auf ausländische Verfahren ab, in welchen Schweizer Unternehmen bislang prozessualen Nachteilen ausgesetzt waren, soweit Mitwirkungspflichten betroffener Mitarbeiter nach Schweizer Recht zu beurteilen waren. Während damit die Stellung von Schweizer Unternehmen in Zivilverfahren im Ausland gestärkt wird, fehlen entsprechende Mitwirkungsverweigerungsrechte in den für die betroffenen Unternehmen ebenso bedeutenden Schweizer Straf- und Verwaltungsverfahren weiterhin.
2.3. Stärkung des Schlichtungsverfahrens
Ein vorgängiges Schlichtungsverfahren kann auch bei Klagen sinnvoll sein, die in die Zuständigkeit des Handelsgerichts oder einer einzigen kantonalen Instanz fallen oder direkt beim oberen Gericht eingereicht werden sollen. Neben der Möglichkeit einer raschen und kostengünstigen Streiterledigung erlaubt ein Schlichtungsgesuch der Gläubigerin vor allem eine rasche und wirksame Verjährungsunterbrechung, wenn es an einem Betreibungsort in der Schweiz fehlt oder der Anspruch nicht der Schuldbetreibung unterliegt. Mit Art. 199 Abs. 3 ZPO wird diesem praktischen Bedürfnis Rechnung getragen und die Möglichkeit zur fakultativen Einleitung eines Schlichtungsverfahrens neu auch in bisher ausgeklammerten Fällen geschaffen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass nur in binnenrechtlichen Streitigkeiten Gewissheit besteht, dass auch fakultative Schlichtungsgesuche ohne weiteres Rechtshängigkeit begründen. In internationalen Sachverhalten ist dies dagegen fraglich: Gemäss Art. 9 Abs. 2 des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht (IPRG) ist für die Bestimmung des Zeitpunkts der Rechtshängigkeit die erste für die Klageeinleitung notwendige Verfahrenshandlung massgebend; fakultative Schlichtungsgesuche erfüllen diese Voraussetzung streng genommen nicht. Auch im Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens (LugÜ) ist diese Frage nicht abschliessend geklärt.
2.4. Anerkennung von Parteigutachten als Beweismitte
Bei technisch anspruchsvollen Streitigkeiten sind Gutachten oft unentbehrlich. Soweit diese nicht vom Gericht angeordnet (sog. Gerichtsgutachten), sondern von den Parteien in Auftrag gegeben wurden (sog. Partei- oder Privatgutachten), galten sie nach der bisherigen Praxis des Bundesgerichts nicht als Beweismittel, sondern als reine Parteibehauptungen. Neu zählen Parteigutachten demgegenüber zu den Urkunden und sind damit der freien Beweiswürdigung zugänglich. Gerichte haben den Beweiswert von Parteigutachten jedoch in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der Umstände (etwa der Unabhängigkeit und der Fachkunde des Gutachters) zu bestimmen. Die Anerkennung von Parteigutachten als Beweismittel eröffnet Gerichten folglich grösseren Spielraum, im Einzelfall darauf abzustellen. Ob sie zu einer generellen Aufwertung von Parteigutachten im Zivilprozess führen wird, bleibt aber abzuwarten.
Vor allem beim Anwendungsbereich des HGÜ besteht Klärungsbedarf.
2.5. Grundlagen für internationale Handelsgerichte
Bereits heute gilt die Schweiz dank ausgezeichneter Rahmenbedingungen für Schiedsverfahren als international attraktiver Justizstandort. Mit der revidierten ZPO werden nun zusätzlich die Grundlagen dafür geschaffen, dass die Schweiz auch als Forum für internationale Handelsstreitigkeiten vor staatlichen Gerichten an Profil gewinnt. Dazu wird die Bestimmung zur sachlichen Zuständigkeit der Handelsgerichte angepasst: Nach Art. 6 Abs. 4 lit. c ZPO können die Kantone ihre Handelsgerichte neu für internationale Handelsstreitigkeiten für zuständig erklären. Vorausgesetzt wird unter anderem, dass der Streitwert mindestens CHF 100'000 beträgt, die Parteien das Handelsgericht prorogiert haben und mindestens eine Partei beim Abschluss der Vereinbarung ihren Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat. Darüber hinaus sind die Anforderungen des LugÜ, des HGÜ (dazu unten Kapitel 3) oder des IPRG zu berücksichtigen. Die weitere Ausgestaltung ist Sache des kantonalen Gerichtsorganisationsrechts. Zudem erhalten die Kantone die Kompetenz, in internationalen Handelsstreitigkeiten die englische Sprache auf Antrag der Parteien als Verfahrenssprache vorzusehen. Die Verwendung der englischen Sprache ist zudem – jedenfalls für die Rechtsschriften der Parteien – instanzübergreifend bis vor Bundesgericht gewährleistet. Auch wenn noch einige Zeit vergehen dürfte, bis interessierte Kantone internationale Handelsgerichte etablieren (bisher wurden in Zürich und Genf entsprechende Initiativen lanciert), sind die Bestrebungen zur weiteren Stärkung des Schweizer Justizstandorts zu begrüssen.
3 Das Haager Gerichtsstandsübereinkommen (HGÜ)
3.1. Gegenstand und Geltungsbereich
Gegenstand des HGÜ sind ausschliessliche Gerichtsstandsvereinbarungen in internationalen Zivil- und Handelssachen. Das Übereinkommen regelt die direkte Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen vereinbarter Gerichte. In zeitlicher Hinsicht ist das HGÜ anwendbar auf Gerichtsstandsvereinbarungen, die geschlossen wurden, nachdem das Übereinkommen für den Staat des vereinbarten Gerichts in Kraft getreten ist. Bereits in Kraft gesetzt ist das Übereinkommen in den Ländern der Europäischen Union sowie – was nach dem Austritt aus der Europäischen Union (Brexit) von besonderer Bedeutung ist – im Vereinigten Königreich sowie in Mexiko, Singapur, der Ukraine, Albanien, Montenegro und in Moldau. Unterzeichnet, aber noch nicht in Kraft gesetzt haben das HGÜ die USA, China, Israel, Kosovo und Nordmazedonien.
3.2. Kernelemente
Das HGÜ begründet eine zwingende Zuständigkeit des ausschliesslich prorogierten Gerichts. Das unzuständige Gericht muss das Verfahren grundsätzlich aussetzen oder die Klage als unzulässig abweisen, und zwar unabhängig davon, wo und zu welchem Zeitpunkt zuerst Rechtshängigkeit begründet wurde. Damit verbleibt im Anwendungsbereich des Übereinkommens auch kein Raum mehr für die forum non conveniens-Doktrin, wonach ein anderes als das vereinbarte Gericht für die Beurteilung einer Klage besser geeignet sein kann. Der Gesetzgeber verabschiedet sich zudem generell, d.h. auch ausserhalb des Anwendungsbereichs des HGÜ, von der bisherigen Ablehnungsbefugnis vereinbarter Gerichte bei fehlendem Binnenbezug: Der entsprechende Art. 5 Abs. 3 IPRG wird per 1.1.2025 aufgehoben. Die Formvorschriften des HGÜ sind niederschwellig: Erforderlich ist eine schriftliche oder in anderer Weise jederzeit zugängliche Dokumentation der ausschliesslichen Gerichtsstandsvereinbarung. Vorsorgliche Massnahmen sind vom Anwendungsbereich des HGÜ ausdrücklich ausgeschlossen. Bei der Prüfung der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen (ausschliesslich) prorogierter Gerichte ist eine Nachprüfung in der Sache ausgeschlossen. Die Gründe zur Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung decken sich in weiten Teilen mit denjenigen des LugÜ und des IPRG; grundsätzlich erfolgt keine Nachprüfung der Zuständigkeit des Erstgerichts.
3.3. Anwendungs- und Abgrenzungsfragen
Im Verhältnis zum HGÜ geht das LugÜ grundsätzlich vor. Dies gilt allerdings nicht, wenn beide Parteien ihren "Aufenthalt" in Vertragsstaaten des HGÜ haben, die nicht zugleich beide auch LugÜ-Staaten sind.
Noch nicht geklärt ist, ob das HGÜ – entgegen der in der Entstehungsgeschichte dokumentierten ursprünglichen Absicht – allenfalls auch bei in Finanzierungsverträgen häufigen, einseitig ausschliesslichen ("asymmetrischen") Gerichtsstandsklauseln zur Anwendung gelangt.
4 Ausblick
Mit den am 1. Januar 2025 in Kraft tretenden revidierten Bestimmungen der ZPO ist der Gesetzgeber seinem Ziel, die Praxistauglichkeit und die Rechtsdurchsetzung in Zivilverfahren zu verbessern, zweifellos näher gekommen. Viele Änderungen sind zu begrüssen, einige waren überfällig. Gleiches gilt für die Inkraftsetzung des HGÜ, selbst wenn diesbezüglich teilweise noch erheblicher Klärungsbedarf besteht. Ob zu einem späteren Zeitpunkt – im Rahmen einer weiteren Revision – auch Regelungen zum kollektiven Rechtsschutz eingeführt werden, bleibt abzuwarten.
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