To the Point:
Rechtsprechung des EGMR
EGMR 03.12.2024,
28935/21, MSD/Rumänien
Online-Gewalt, Schadenersatz
-
Der Ex-Partner einer Frau erstellte auf Facebook gefälschte
Profile, um von der Frau intime Fotos zu verbreiten und sendete die
Fotos auch an ihre Familie und Freunde. Weiters
veröffentlichte er die Fotos der Frau mit ihrem Namen und
ihrer Telefonnummer auf Websites für Escort-Services. Die Frau
wurde von zahlreichen Personen wegen sexuellen Dienstleistungen
kontaktiert. Als sie ihren Ex-Partner konfrontierte, wurde sie von
diesem physisch und verbal aggressiv attackiert. Sie erhob
Strafanzeige gegen den Ex-Partner. Die Ermittlungen zogen sich aber
jahrelang hin, die Behörden handelten nur zögerlich und
stellten das Verfahren schließlich ein.
Der EGMR hat erwogen: Art 8 EMRK schützt das Recht auf Achtung des Privatlebens, einschließlich der körperlichen und psychischen Integrität einer Person. Der Staat hat positive Verpflichtungen, Maßnahmen zu ergreifen, um dieses Recht auch in den Beziehungen zwischen Privatpersonen zu schützen. Dies umfasst die Verpflichtung, ein wirksames rechtliches System zu schaffen und anzuwenden, das Schutz vor Gewalt bietet, einschließlich Schutz vor Online-Gewalt und Belästigung. Die Veröffentlichung intimer Fotos und die Verbreitung dieser Fotos stellten eine Form der Online-Belästigung dar, die die psychische Integrität der Frau erheblich beeinträchtigt haben. Diese Handlungen erforderten eine strafrechtliche Reaktion der nationalen Behörden. Ein zivilrechtlicher Rechtsbehelf allein ist in solchen Fällen nicht ausreichend. Das (nationale) Strafgesetzbuch in seiner damaligen Fassung bot keinen wirksamen Schutz, weil unklar war, ob die Verbreitung von Bildern, die rechtmäßig erlangt wurden, strafbar war. Die Ermittlungen der nationalen Behörden waren nicht effektiv, weil sie die Ermittlungen erst mehr als sechs Monate nach der Strafanzeige eröffneten und den Ex-Partner erst nach über einem Jahr befragten. Sie unternahmen keine ausreichenden Maßnahmen, um Beweise zu sichern oder die Frau vor weiteren Übergriffen zu schützen. Die nationalen Behörden haben ihre positiven Verpflichtungen aus Art 8 EMRK nicht erfüllt.
Die Feststellung des Verstoßes gegen Art 8 EMRK genügt für den Ausgleich des erlittenen immateriellen Schadens nicht, weshalb der Frau ein Schadenersatz iHv EUR 7.500 zuzusprechen ist.
Rechtsprechung des VwGH
- Durch das Wr AuskunftspflichtG wird ein "Recht auf
Information" gesetzlich eingeräumt. Mit der
Pflicht der Behörde korrespondiert ein subjektiv
öffentliches Recht des Auskunftswerbers. Dem Wr
AuskunftspflichtG liegt
ein Regel-Ausnahme-Prinzip zu Grunde,
wonach grundsätzlich eine Auskunft zu erteilen ist. Eine
Ausnahme ist zB, wenn der
Auskunftserteilung gesetzliche
Verschwiegenheitspflichten entgegenstehen.
Eine pauschale Verweigerung der Auskunft
über eine Mehrzahl von Verwaltungsvorgängen kann mit
Verschwiegenheitspflichten hinsichtlich einzelner dieser
Vorgänge nicht begründet
werden. Vergaberechtliche
Vertraulichkeitspflichten derogieren nationalen
Rechtsvorschriften betreffend den Zugang zu Informationen nicht. An
der Offenlegung der Information, mit wem die Stadt
Wien städtebauliche
Verträge schließt, besteht
ein hohes öffentliches Interesse, um im
Sinne eines "social watchdog"
allfällige wirtschaftliche bzw politische Verflechtungen einer
öffentlichen Debatte zuführen zu können.
Der Datenschutz steht der Offenlegung
dieser Information daher nicht entgegen (VwGH 24.10.2024, Ra 2023/05/0006).
Rechtsprechung des OGH
OGH 13.11.2024, 15Os51/24z
Persönlichkeitsrecht, Identifizierbarkeit
- Ein Medienunternehmen berichtete mehrfach über den
Einsturz einer Brücke auf den Philippinen, bei dem eine
schwangere Frau auf ihrer Hochzeitsreise ihren Ehemann verlor.
Aufgrund zahlreicher berichteter Details war die
Frau identifizierbar. Die Frau klagte auf
Entschädigung nach § 7 Abs 1 MedienG, weil die
Berichte ihre Privatsphäre verletzt hätten. Das LG Graz
gab der Klage statt, das OLG Graz bestätigte das Urteil.
Daraufhin beantragte das Medienunternehmen beim OGH die Erneuerung
des Verfahrens mit Verweis auf
die Meinungsfreiheit gemäß
Art 10 Abs 1 EMRK. Der OGH wies den Antrag
zurück.
Der OGH hat erwogen: Der Erneuerungsantrag zeigt keine Begründungsmängel oder erhebliche Zweifel an der Identifizierbarkeit der Frau auf. Die Schwangerschaft, die einen die Gesundheitssphäre betreffenden Umstand darstellt, gehört zum höchstpersönlichen Lebensbereich iSd § 7 Abs 1 MedienG der Frau, weil die Hochzeit innerhalb eines begrenzten Personenkreises, daher nicht in einer medialen oder sonst vergleichbar großen Öffentlichkeit stattfand. Die Frau hat ihre Schwangerschaft und sonstige Umstände des Unfalls und ihres Privat- und Familienlebens auch nicht auf andere Weise selbst in die mediale oder sonst große Öffentlichkeit getragen.
Berichterstattungen über für eine begrenzte Öffentlichkeit sichtbare oder bekannte Umstände können bloßstellend sein, wenn sie den Betroffenen gegenüber einer grenzenlosen Öffentlichkeit als außergewöhnlich bedauernswert hinstellen, emotionsgeladen und unerwünschtes Mitleid heischend gestaltet sind.
Aus der weiteren Rechtsprechung des OGH:
-
Die Weigerung eines Hauseigentümers,
unter anderem aus datenschutzrechtlichen
Gründen, seinen analogen Stromzähler auf
einen Smartmeter umzustellen, berechtigt
einen Netzbetreiber nicht, mittels
Androhung der Stromabschaltung
den Stromzählertausch zu
erzwingen. Gegen die Androhung der
Stromabschaltung steht einem Hauseigentümer
eine einstweilige Verfügung gegen
den Netzbetreiber zu. Dem Netzbetreiber steht es aber offen, selbst
gerichtliche Hilfe bei der Durchsetzung seines Interesses auf
Tausch des Stromzählers in Anspruch zu nehmen (OGH 28.10.2024, 3Ob191/24w).
- Der Kläger begehrt die Unterlassung der erneuten unrechtmäßigen Offenlegung seiner personenbezogenen Daten, nicht aber die Löschung seiner Daten. Beim EuGH sind in der Rs C-655/23, Quirin Privatbank, Vorlagefragen zu Unterlassungsansprüchen nach der DSGVO anhängig, die für die Beantwortung der Frage, ob und wann sich ein Unterlassungsanspruch aus der DSGVO ergibt, präjudiziell sind. Es ist daher zweckmäßig und geboten, mit der Entscheidung über Unterlassungsansprüche bis zur Entscheidung des EuGH über das bereits gestellte Vorabentscheidungsersuchen zuzuwarten und das Revisionsverfahren zu unterbrechen (OGH 06.11.2024, 6Ob195/24f).
Aus der Rechtsprechung des BVwG
BVwG 11.11.2024, W298 2295931-1
Säumnis, Kohärenzverfahren
- Ein Betroffener erhob eine Datenschutzbeschwerde bei der DSB
wegen Verletzung im Recht auf Geheimhaltung. Die DSB setzte das
Verfahren bis zur Feststellung der federführenden
Aufsichtsbehörde und bis zur Entscheidung der
federführenden Aufsichtsbehörde aus. Der Betroffene erhob
eine Bescheidbeschwerde gegen diesen Aussetzungsbescheid, weil er
die Zuständigkeit der DSB annahm. Das BVwG hob den
Aussetzungsbescheid auf, weil keine zu lösende Vorfrage
vorlag, die ein Aussetzen des Verfahrens rechtfertigen würde.
Der Betroffene erhob in Folge eine (erfolglose)
Säumnisbeschwerde, weil die DSB nicht innerhalb der
sechsmonatigen Entscheidungsfrist über seine
Datenschutzbeschwerde entschieden habe. Die DSB wendete ein, dass
die Entscheidungsfrist aufgrund des weiterhin laufenden Verfahrens
gemäß Art 56 DSGVO gehemmt sei.
Das BVwG hat erwogen: Gemäß § 8 Abs 1 VwGVG beginnt die Entscheidungsfrist der Behörde von sechs Monaten in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der zuständigen Stelle eingelangt ist. Das Verfahren über eine Datenschutzbeschwerde im Zusammenhang mit einer grenzüberschreitenden Datenverarbeitung besteht aus drei Phasen. In einem ersten Schritt werden die beteiligten Aufsichtsbehörden und ihre jeweilige Rolle als federführende oder betroffene Aufsichtsbehörde bestimmt, wobei sie der allgemeinen Kooperationspflicht gemäß Art 51 Abs 2 S 2 DSGVO unterliegen. In einem zweiten Schritt führt die federführende Aufsichtsbehörde das Kohärenzverfahren nach Art 60 DSGVO durch und fasst über die Beschwerde einen verbindlichen Beschluss. Im letzten Schritt wird gemäß Art 60 Abs 8 DSGVO dieser Beschluss von der Aufsichtsbehörde, bei der die Beschwerde eingebracht worden ist, erlassen.
Nach § 73 AVG ist über einen Antrag, hier die Datenschutzbeschwerde, ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach Einlangen dieses Antrags zu entscheiden. Nicht in diese Entscheidungsfrist eingerechnet werden Zeiten während des Verfahrens zur Feststellung der federführenden Aufsichtsbehörde sowie eines Kohärenzverfahrens. Die Entscheidungsfrist wird gehemmt. Die sechsmonatige Entscheidungsfrist kann daher noch nicht abgelaufen sein.
Aus der weiteren Rechtsprechung des BVwG:
- Gemäß § 8 Abs 1 VwGVG kann
eine Säumnisbeschwerde erst erhoben
werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb
von sechs Monaten entschieden hat. Der
Säumnisbeschwerde ist stattzugeben, wenn die Verzögerung
auf ein überwiegendes
Verschulden der Behörde zurückzuführen
ist. Ein überwiegendes Verschulden der Behörde liegt dann
vor, wenn diese die für eine zügige
Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder
mit diesen grundlos zuwartet. Das BVwG kann sich jedoch
gemäß § 28 Abs 7 VwGVG in seinem
Erkenntnis auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher
Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen,
den versäumten Bescheid unter
Zugrundelegung der festgelegten
Rechtsanschauung des BVwG binnen acht
Wochen zu erlassen (kondemnatorische
Entscheidung; BVwG 18.11.2024, W137 2297602-1).
- Eine Bescheidbeschwerde gegen
ein Straferkenntnis der
DSB hat gewisse Punkte aufzuweisen, ua
die Gründe, auf die sich die Behauptung der
Rechtswidrigkeit stützt (§ 9
Abs 1 VwGVG). Mängel im schriftlichen Anbringen
berechtigten jedoch nicht zur Zurückweisung, sondern es ist
ein Mangelbehebungsauftrag zu erteilen.
Wird dem Mangelbehebungsauftrag nicht entsprochen, ist die
Bescheidbeschwerde zurückzuweisen.
Für das Verfahren vor dem BVwG sind im Fall der
Zurückweisung der Bescheidbeschwerde keine
Verfahrenskosten zu entrichten (BVwG 11.11.2024, W298 2296786-1).
- Beschränkt sich die DSB trotz strittig gebliebener
Tatsachenbehauptungen auf den Austausch wechselseitiger
Stellungnahmen, ist das einem Unterlassen jeglicher
erforderlichen
Ermittlungstätigkeit gleichzuhalten. Die von der
DSB durchgängig geübte Praxis, die
Ermittlungen trotz strittiger Tatsachenbehauptungen auf das
Austauschen von schriftlichen Stellungnahmen zu beschränken,
ist ein "nach-oben-Delegieren" der
Ermittlungen an das BVwG. Der Bescheid ist daher zu beheben und an
die DSB zur neuerlichen
Entscheidung zurückzuverweisen (BVwG 18.11.2024, W274 2291293-1).
- Die Verarbeitung bestimmter personenbezogener Daten zum Zweck
der Erhebung des ORF-Beitrags sowie der
Ermittlung der Beitragsschuldner und zur Prüfung, ob eine
Befreiung vorliegt, ist notwendig. Die Regelungen des mit
"Datenübermittlung" titulierten
§ 13 ORF-Beitrags-Gesetz (OBG)
erscheinen sachgerecht und sind auf das notwendige bzw
verhältnismäßige Maß beschränkt. Ein
unzulässiger und unverhältnismäßiger Eingriff
in das Grundrecht auf Datenschutz durch
das OBG ist nicht zu erblicken (BVwG 23.10.2024, I406 2299747-1; 07.11.2024, I411 2300073-1).
- Das Grundrecht auf Datenschutz ist im Verfahren über die Festsetzung des ORF-Beitrags nicht präjudiziell, weshalb allfällige datenschutzrechtliche Bedenken der Festsetzung des ORF-Beitrags nicht entgegenstehen (BVwG 02.12.2024, L521 2298795-1).
EU-Rechtsakte
- Zur Erleichterung der grenzüberschreitenden
elektronischen Identifizierung erließ die
Europäische Kommission fünf
Durchführungsverordnungen betreffend die
"europäische Brieftasche"
gemäß Art 5a der eIDAS-VO.
Am 04.12.2024 wurden die
DurchführungsVO 2024/2977, ABl L 2024/2977, 1; die
DurchführungsVO 2024/2979, ABl L 2024/2979, 1; die
DurchführungsVO 2024/2980, ABl L 2024/2980, 1; die
DurchführungsVO 2024/2981, ABl L 2024/2981, 1; die
DurchführungsVO 2024/2982, ABl L 2024/2982, 1,
kundgemacht. Diese fünf
DurchführungsVO enthalten Vorschriften
hinsichtlich der europäischen
Brieftasche: Personenidentifizierungsdaten und
elektronische
Attributsbescheinigungen (DurchführungsVO
2024/2977); Integrität und
Kernfunktionen (DurchführungsVO
2024/2979); Notifizierungen an die
Kommission (DurchführungsVO
2024/2980); Zertifizierung der
EU-Brieftasche (DurchführungsVO 2024/2981)
sowie Protokolle und
Schnittstellen (DurchführungsVO
2024/2982).
- Am 02.12.2024 wurde die
"Durchführungsverordnung (EU) 2024/2956 der
Kommission vom 29. November 2024 zur Festlegung technischer
Durchführungsstandards für die Anwendung der Verordnung
(EU) 2022/2554 des Europäischen Parlaments und des Rates im
Hinblick auf Standardvorlagen für das
Informationsregister", ABl L 2024/2956, 1,
kundgemacht. Finanzunternehmen haben im
Rahmen des IKT-Risikomanagements
ein Informationsregister über die
Nutzung von IKT-Drittdienstleister zu
führen. Die DurchführungsVO 2024/2956
legt Standards für die Führung
dieses Informationsregisters fest.
- Am 03.12.2024 wurde die "Durchführungsverordnung (EU) 2024/2984 der Kommission vom 29. November 2024 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards für die Anwendung der Verordnung (EU) 2023/1114 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf Formulare, Formate und Mustertexte für die Kryptowerte-Whitepaper", ABl L 2024/2984, 1, kundgemacht. Personen, die Kryptowerte-Whitepaper erstellen, haben die in dieser DurchführungsVO vorgeschriebenen Informationen bereitzustellen.
Nationale Rechtsakte
- Am 05.12.2024 wurde die Telekommunikationsgebührenverordnung 2025 (TKGV 2025), BGBl II 2024/356, kundgemacht. In der TKGV 2025 werden Gebühren im Bereich der Telekommunikation, insb für die Nutzung von Funkfrequenzen, festgelegt.
Vorschau EuGH-Rechtsprechung
- Am 12.12.2024 werden
die Schlussanträge in der
Rs C-492/23, Russmedia Digital und Inform
Media Press, veröffentlicht. Gegenstand des
Verfahrens sind Pflichten
von Hostingprovidern.
- Am 19.12.2024 wird das Urteil in der Rs C-65/23, K GmbH, verkündet. Der EuGH wird über Fragen zur Verarbeitung personenbezogener Daten im Arbeitsverhältnis sowie zum immateriellen Schadenersatz entscheiden.
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