Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führte zu einer starken Zunahme von streitigen Verfahren mit Russlandbezug (siehe Chambers and Partners, International Arbitration 2023 – Global Overview). ­Weitgehende Sank­tionen in fast allen Wirtschaftsbereichen, ein hoch­volatiler Energiemarkt und ein genereller Vertrauensverlust bewirkten schwerwiegende Störungen vieler Geschäfts­beziehungen, die keiner außergerichtlichen Lösung mehr zugänglich sind. Streitlösung vor den ordentlichen Gerichten scheitert in Verfahren mit Russlandbezug oft an faktischen und rechtlichen Hindernissen. Eine Schiedsvereinbarung ist aus vielen Gründen vorteilhaft.

Prozesse mit russischer Beteiligung – Klagezustellung, Kostensicherheit, Vollstreckung

Bei Konflikten mit Russlandbezug stellen sich derzeit komplizierte materielle Rechtsfragen, etwa über die Anwendbarkeit und Wirkung von Sanktionen oder die Bindung an einen Vertrag nach einer wesentlichen Änderung der Umstände, wie derzeitige Lieferschwierigkeiten und Zwangsenteignungen im Russland-Ukraine-Konflikt aufzeigen. Die vertrag­liche Ausgestaltung im Einzelfall kann oft entscheidend sein.

Wird der Rechtsweg bestritten, ist bei Verfahren vor ­ordentlichen Gerichten die erste Hürde schnell erreicht, wenn die beklagte Partei ihren (Wohn-)Sitz in Russland hat: die ­Zustellung der Klage. Bei Verfahren vor ordentlichen ­Gerichten ist das Haager Zustellungsübereinkommen (HZÜ) anwendbar, wonach die Zustellung grundsätzlich über eine von jedem Vertragsstaat einzurichtende ­zentrale Behörde ­erfolgt. Dies ist in der Praxis jedoch formalistisch, auf­wendig und kann lange Verzögerungen und hohe Kosten verursachen (etwa wenn über die Frage der wirk­samen Zustellung langwierig gestritten wird; vgl. z.B. OGH, 17.01.2024, 6 Ob 87/23b). Nach der Erfahrung der Autoren sind ­Zustellungen nach dem HZÜ in Russland derzeit praktisch unmöglich.

Als beklagte Partei ist es notwendig, am Verfahren teilzunehmen, um ein vollstreckbares Versäumungsurteil zu verhindern. Auch wenn die Ansprüche abgewiesen werden, entstehen so Kosten. Grundsätzlich sind Kostenentscheidungen in Russland nach dem Haager Prozessübereinkommen 1954 (HPÜ) im Gegensatz zu anderen Urteilen vollstreckbar. Trotz des HPÜ ist aktuell allerdings nicht mit einer tatsäch­lichen Vollstreckung in Russland zu rechnen. Für ausländische ­Beklagte wäre es daher sinnvoll, Kostensicherheit zu erlangen, welche allerdings bei den ordentlichen Gerichten nur schwer zu erreichen ist. Die österreichische Zivilprozessordnung (ZPO) sieht zwar eine Prozesskostensicherheit für Fälle vor, in denen ausländische Parteien als Kläger auftreten (die sogenannte aktorische Kaution). Auch § 110 der deutschen Zivilprozessordnung (dZPO) sieht für ausländische Kläger auf Verlangen des Beklagten den Erlag einer Sicherheit für Prozesskosten vor. Russischen Klägern darf eine solche grundsätzlich jedoch nicht auferlegt werden, weil das oben angesprochene HPÜ diese verbietet. In der derzeitigen Situation könnte allerdings argumentiert werden, dass die fak­tische Aussetzung des HPÜ durch Russland zur Gewährung von Kostensicherheit führen muss.

Ist ein vollstreckbarer Titel von den ordentlichen Gerichten erlangt worden, ist dieser in Russland nicht vollstreckbar. Russland hat zwar im Jahr 2021 das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen im Ausland in Zivil- und Handelssachen unterzeichnet, jedoch das Abkommen bisher nicht ratifiziert (vgl. Statustabelle der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht zum Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 02.07.2019). Somit scheitert die Durchsetzbarkeit eines in Österreich erlassenen Urteils an der mangelnden Vollstreckbarkeit in Russland.

Aufgrund dieser Schwierigkeiten bieten Schiedsgerichte für die Lösung von Konflikten mit Russlandbezug das noch am besten geeignete Forum.

Vorteile von Schiedsverfahren im Vergleich zu ordentlichen Gerichten

Bei Vorhandensein einer Schiedsvereinbarung bietet die Schiedsgerichtsbarkeit insbesondere bei den oben genannten Schwierigkeiten wesentliche Vereinfachungen im Vergleich zu den ordentlichen Gerichten.

Die Zustellung ist in Schiedsverfahren stark vereinfacht ­geregelt. Sie erfolgt in den meisten Fällen nach den Bestimmungen der anwendbaren Schiedsregeln, die oft nur einen Nachweis der Versendung erfordern. Die Regeln des Vienna International Arbitral Centre (VIAC) beispielsweise bestimmen in Art. 12 Abs. 1 der VIAC-Regeln 2021, dass Schriftstücke „in Papierform mit eingeschriebenem Brief gegen Rückschein, Brief mit Empfangsbescheinigung, Kurierdienst oder in elektronischer Form oder durch jede andere Form der Nachrichtenübermittlung, die einen Nachweis der Versendung sicherstellt, zu übermitteln“ sind. Nach Art. 5.5 der Deutschen Institution für Schiedsgerichtbarkeit (DIS) erfolgt die Übermittlung der Schiedsklage durch die DIS. Die Regeln der Internationalen Handelskammer (ICC) erlauben auch eine Zustellung per E-Mail. Nur auf Verlangen einer Partei erfolgt die Zustellung durch Brief gegen Rückschein, regis­triertes Poststück oder Kurierdienst.

Des Weiteren dürfen Schiedsgerichte je nach anwendbaren Regeln den Erlag einer Prozesskostensicherheit anordnen, ohne dabei territorial in der Anwendung der Regeln zur Kosten­sicherheit eingeschränkt zu sein. Gemäß Art. 33 Abs. 6 der VIAC-Regeln kann das Schiedsgericht auf „Antrag ­einer Partei anordnen, dass eine Partei, die Klags- oder Widerklags­ansprüche geltend macht, für die Verfahrens­kosten Sicherheit zu leisten hat, sofern die antragstellende Partei glaubhaft macht, dass die Einbringlichkeit eines mög­lichen Kostenersatzanspruchs mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ­gefährdet ist“. Die derzeitigen Schwierigkeiten bei der Vollstreckung von Schiedssprüchen in Russland bieten wohl eine gute Grundlage für die Darlegung einer solchen Gefährdung (vgl. Dobrić/Edel: Security for Costs Against (Non-Sanctioned) Russian Claimants? – An Overview Under the ­Vienna Rules, Kluwer Arbitration Blog vom 03.01.2024). Wenngleich die DIS-Regeln und die ICC-Regeln keine ausdrückliche Regelung betreffend die Prozesskostensicherheit vorsehen, dürfen Schiedsgerichte nach Art. 25 der DIS-Regeln sowie nach Art. 28 Abs. 1 der ICC-Regeln vorläufige Maßnahmen erlassen. Dazu gehört nach allgemein anerkanntem Verständnis auch die Anordnung einer ­Prozesskostensicherheit.

Auch die Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen ist wesentlich einfacher. Schiedssprüche sind weltweit vollstreckbar. Dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (NYÜ) sind mittlerweile 172 Vertragsstaaten beigetreten. Dazu gehören unter anderem die gesamte EU, Russland, die Vereinigten Staaten und China. Art. III des NYÜ verpflichtet die Vertragsstaaten zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche. Gemäß Art. V des NYÜ ist die Versagung der Anerkennung nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Das Vollstreckungsregime von Schiedssprüchen ist daher ein großer Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit, da ein Zugriff auf russisches Vermögen auch in anderen Ländern möglich ist. Auch wenn eine Vollstreckung von Schieds­sprüchen in Russland derzeit faktisch schwierig bzw. unmöglich ist, erlaubt die Schiedsgerichtsbarkeit zumindest außerhalb Russlands eine weitgehend unbehinderte Vollstreckung.

Eingriffe russischer Gerichte und des russischen Gesetzgebers in die Streitlösung

Der russische Gesetzgeber hat in den letzten Jahren die Rechtsschutzmöglichkeiten mit einer 2020 erlassenen ­Gesetzesänderung für Verfahren mit Russlandbezug zusätzlich erschwert. Mit dem Gesetz Nr. 171-FZ, welches auch als „Lugowoi-Gesetz“ bekannt ist, sind ausschließlich russische Gerichte für Verfahren zuständig, in denen eine Partei Sanktionen unterliegt oder in denen sich der Rechtsstreit aus Sanktionen gegen russische Unternehmen ergibt. Hintergrund dafür sei der durch die Sanktionen erschwerte Zugang zum Recht für sanktionierte Parteien. Dass eine russische Partei von Sanktionen tangiert wird (z.B. durch erschwerte Reisemöglichkeiten) reicht nach der Rechtsprechung russischer Gerichte für die Anwendung des Lugowoi-Gesetzes ­bereits aus. Dass Sanktionen den Zugang zum Recht tatsächlich ­erschweren, ist nach dieser Rechtsprechung nicht erforderlich (Oberstes Gericht der Russischen Föderation UralTransMash v Pojazdy Szynowe PESA Bydgoszcz SA [A60-36897/2020]).

Das Gesetz ermöglicht es russischen Parteien auch, mit der Beantragung einstweiliger Verfügungen ein Klageverbot für das ausländische Schiedsverfahren zu erwirken und sich damit auf die ausschließliche Zuständigkeit russischer Gerichte zu berufen („anti-arbitration injunctions“). Bei Einleitung eines Schiedsverfahrens entgegen einer solchen Verfügung drohen den ausländischen Klägern in Russland zudem Strafen – bis zur Höhe des gesamten Streitwerts. Russische Gerichte erließen im vergangenen Jahr bereits mehrfach Verfügungen solcher Art, die Schiedsverfahren unter verschiedenen institutionellen Regeln betrafen (vgl. Ballantyne: Russian court restrains HKIAC claim against state-­owned bank, Global Arbitration Review vom 08.11.2023; Ballantyne: ­Russian court restrains billion-dollar claim against Gazprom unit, Global Arbitration Review vom 31.10.2023; Ballantyne: ­Russian court injuncts Naftogaz's ICC claim, Global Arbitration ­Review vom 12.01.2024). Die Entscheidungen verwiesen durchwegs auf die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung und die ausschließliche Zuständigkeit der russischen ­Gerichte (vgl. Ballantyne: Russian Supreme Court upholds bar to ­Siemens arbitration, Global Arbitration Review vom 23.10.2023).

Aber auch ausländische Parteien wehren sich gegen die Vorgehensweise Russlands. Ende Januar 2024 hat der „Court of Appeal“ von England und Wales eine einstweilige Verfügung gegen eine russische Partei erlassen. In dieser verlangte das englische Gericht von der russischen Partei, das Verfahren vor den russischen Gerichten zu beenden, weil die ­Parteien eine Schiedsvereinbarung und damit eine Entscheidung durch ein Schiedsgericht vereinbart hatten (siehe UniCredit Bank AG v. RusChemAlliance LLC, Judgment of the Court of Appeal of England and Wales [2024], EWCA Civ 64, 02.02.2024).

Die Vollstreckung gegen russische Parteien ergangener Schiedssprüche ist besser außerhalb von Russland zu versuchen. Obwohl Russland nach dem NYÜ zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche verpflichtet ist, wird die russische Praxis immer restriktiver. Viele ausländische Schiedssprüche werden nicht mehr anerkannt und vollstreckt (siehe Commercial Arbitration: Russia, Antwort zu ­Frage 45). Nach Art. V Abs. 2 lit. b NYÜ kann die ­Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruches versagt werden, wenn er dem Ordre public widerspricht. Russische Gerichte legen gerade diesen Versagungsgrund sehr weit aus und verweigern regelmäßig die Anerkennung von Schiedssprüchen auf dieser Grundlage (vgl. Boës: Public ­Policy Exception: Understanding and Application in ­Russia and Germany, Zhiltsov (Hrsg.), Commercial Arbitration (2021) S. 85).

Es empfiehlt sich daher oft, in Asset-Tracing zu investieren und Vermögen in anderen Jurisdiktionen aufzuspüren. Vermögenswerte sollten bereits während des noch anhängigen Schiedsverfahrens im Auge behalten bzw. „aufgespürt“ werden, um allenfalls Sicherungsmaßnahmen vor einer Ver­eitelung des Zugriffs zu setzen. Vollstreckungen werden zusätzlich erschwert, wenn staatliches Vermögen involviert ist und auch noch die Einwendung der Staatenimmunität im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen ist. Auch hier zählt eine rasche Reaktion, die in manchen Jurisdiktionen aufgrund effizienter Vollstreckungsgerichte und Erleichterungen beim Zugriff auf Bankkonten zum Erfolg führen kann. Die diesbezügliche Rechtslage und Praxis europäischer Vollstreckungsgerichte kann sich momentan schnell ändern und erfordert eine überlegte länderübergreifende Vorgehensweise.

Fazit: Bessere Chancen auf Durchsetzung von Ansprüchen

Schiedsgerichtsbarkeit bietet derzeit in Verfahren mit russischen Parteien überwiegend bessere Chancen auf die Durchsetzung von Ansprüchen als die staatliche Gerichtsbarkeit. Die Eingriffe des russischen Gesetzgebers und der russischen Gerichtsbarkeit in Schiedsverfahren erfordert Vollstreckungsstrategien in Vertragsstaaten des NYÜ außerhalb Russlands. Die Vollstreckung in russisches Staatsvermögen ist aufgrund des Einwands der Staatenimmunität weiterhin sehr schwierig.

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