Neue Entscheidung Zum Thema Retrozessionen - OGH Verneint Verjährung Von Zinsen Wegen Verletzung Des Europarechtlichen Effektivitätsgrundsatzes

Gemäss einer wegweisenden und in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten neuen Entscheidung des OGH haben Kunden liechtensteinischer Banken...
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Gemäss einer wegweisenden und in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten neuen Entscheidung des OGH haben Kunden liechtensteinischer Banken, denen Zuwendungen vorenthalten wurden, nicht nur das Recht, die von den Banken vereinnahmten Zuwendungen einzufordern, sondern auch einen Anspruch auf gesetzliche Zinsen von 5% auf diese Beträge für den gesamten Zeitraum der Vorenthaltung. Die neue Rechtsprechung stellt indirekt auch die Gesetzesänderung zur Verjährung von Ansprüchen im Zusammenhang mit Zuwendungen in Frage, die vom Landtag zum Schutz von Banken und Vermögensverwaltern im Jahr 2022 verabschiedet wurde.

Hintergrund der Entscheidung des OGH war eine Stufenklage, mit der ein Bankkunde von einer liechtensteinischen Grossbank die Offenlegung und Herausgabe sämtlicher einbehaltenen Zuwendungen (Retrozessionen, Provisionen, Bestandpflegeprovisionen, kick-backs, finder's fees, Vertriebsentschädigungen, Rabatte, Disagios, Naturalleistungen, etc.) forderte. Nachdem der Kläger mit dem ersten Teil der Stufenklage betreffend Auskunft über die Zuwendungen über alle Instanzen obsiegte, bezifferte er das Klagebegehren im Umfang der von der Grossbank offengelegten Zuwendungen samt Zinsen ab dem jeweiligen Ende des Geschäftsjahrs, zu dem die Bank die Zuwendungen vereinnahmte. Das Erstgericht entschied zugunsten des Klägers und ordnete die vollständige Herausgabe der geforderten Beträge an. Daraufhin legte die beklagte Grossbank Berufung beim Fürstlichen Obergericht ein. Das Fürstliche Obergericht bestätigte sodann den Anspruch auf Herausgabe, gewährte jedoch nur Zinsen ab dem Zeitpunkt der Zustellung der Stufenklage an die beklagte Grossbank, weil die Zinsen erst zu diesem Zeitpunkt eingemahnt worden seien. Beide Parteien legten gegen dieses Urteil Revision ein, wobei die beklagte Grossbank diese später wieder zurückzog und somit das Urteil des Fürstlichen Obergerichts akzeptierte. Der Kläger forderte mit seiner Revision die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Der OGH entschied sodann zugunsten des Klägers. Er widersprach sowohl der Ansicht des Fürstlichen Obergerichts, dass der Zinslauf erst nach Einmahnung beginne, als auch dem von der beklagten Grossbank erhobenen Einwand der Verjährung der Zinsen.

Unter Berufung auf Judikatur des EuGH leitete der OGH den allgemeinen Grundsatz ab, dass bei Verstössen gegen Unionsrecht nicht nur Anspruch auf Rückforderung rechtsgrundlos entrichteter Beträge bestehe, sondern auch auf Zahlung von Zinsen – und zwar für den gesamten Zeitraum der Vorenthaltung. Die Zinszahlungsmodalitäten dürften gemäss Rechtsprechung des EuGH nicht dazu führen, dass dem Betroffenen eine angemessene Entschädigung für die erlittenen Einbussen vorenthalten werde. Dies sei Ausfluss des europarechtlich verankerten Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatzes.

Die Rechtsprechung zum Anspruch auf Rückforderung rechtsgrundlos entrichteter Beträge sei vergleichbar mit dem Anspruch auf Herausgabe von Zuwendungen, der ebenfalls im EWR-Recht gründe. Daher habe der Kläger jedenfalls Anspruch auf Zinsen für den gesamten Zeitraum der Vorenthaltung. Diese Schlussfolgerung stehe auch in Einklang mit nationalem Recht, da § 1000 ABGB als Pauschalierung des gewöhnlichen Nutzungsentgelts für Geld zu verstehen sei, der schon für den Zeitraum vor der Klagszustellung gebühre. Eine Einmahnung der Zinsen durch den Kläger sei daher nicht erforderlich gewesen (mVa 4 Ob 149/06z).

Der OGH verwarf sodann auch den Einwand der Verjährung der Zinsen, dies wiederum mit Verweis auf den Effektivitätsgrundsatz. Aufgrund der Komplexität des Rechtsfalls und der Abhängigkeit des Klägers von der Offenlegung der Zuwendungen durch die beklagte Grossbank würde der Kläger durch die Festlegung einer Verjährungsfrist von beispielsweise drei, fünf oder zehn Jahren in seinem Recht auf angemessene Entschädigung beeinträchtigt. Der Anspruch des Klägers auf Zinsen verjähre daher, gleich wie der Herausgabeanspruch, erst nach 30 Jahren.

Die Entscheidung des OGH dürfte weitreichende Konsequenzen für den Finanzplatz Liechtenstein haben. Die Forderung des OGH nach einer angemessenen und effektiven Entschädigung von Kunden, denen Zuwendungen vorenthalten wurden, steht in einem Spannungsverhältnis zur vom Landtag im Jahr 2022 verabschiedete Gesetzesänderung betreffend Zuwendungen.

Damals hatte der Landtag die Verjährung von Auskunfts- und Herausgabeansprüchen betreffend Zuwendungen gegen einen der FMA unterstellten Finanzintermediär auf drei Jahre ab Kenntnis von den Zuwendungen (relative Frist) und zehn Jahre ab Geschäftsbesorgung (absolute Frist) beschränkt. Ausweislich der Übergangsbestimmung gilt die neue Regelung seit dem 1. Juni 2023 auch rückwirkend für vergangene Sachverhalte. Zuvor betrug die Verjährungsfrist noch 30 Jahre. In den Gesetzesmaterialien zur Neuregelung hielt die Regierung zudem fest, dass die relative dreijährige Verjährungsfrist bereits zu jenem Zeitpunkt zu laufen beginne, in dem der Kunde Kenntnis davon habe, dass der Finanzintermediär Zuwendungen erhalten könnte.

Aus der neuen OGH-Entscheidung ist abzuleiten, dass der OGH einer derartigen Interpretation wie von der Regierung in den Gesetzesmaterialien vertreten, nicht folgen wird. Sie widerspricht dem europarechtlichen Effektivitätsgrundsatz. Auch die absolute 10-jährige Verjährungsfrist wird in dieser Allgemeinheit nicht haltbar sein, wenn dem Kunden vom Finanzintermediär die Zuwendungen nicht offengelegt wurden, was in der Liechtensteinischen Praxis bis zur Einführung von MiFID II im Jahr 2018 der Regelfall war.

Zusammengefasst bedeutet das: Die neue Rechtsprechung stärkt die Rechte der Kunden des liechtensteinischen Finanzplatzes und sanktioniert das Verhalten der Finanzdienstleister, die teilweise über Jahrzehnte unrechtmässig Zuwendungen hinter dem Rücken ihrer Kunden vereinnahmten. Kunden, denen die Zuwendungen von ihrer Bank oder ihrem Vermögensverwalter nie offengelegt wurden, dürfen sich mangels Kenntnis der Zuwendungen berechtigte Hoffnungen darauf machen, dass sie trotz der Gesetzesänderung des Landtags aus dem Jahr 2022 weiterhin einen Anspruch auf Herausgabe der Zuwendungen für die letzten 30 Jahre haben. Zusätzlich steht ihnen ein Zinsanspruch von 5% für den gesamten Zeitraum der Vorenthaltung der Zuwendungen zu.

Bei Fragen zum Thema steht Ihnen RA Martin Hermann gerne zur Verfügung.

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