Ein Urteil des Obersten Gerichtshofs des Fürstentums Liechtenstein (OGH) vom 4. Februar 2022 (CG.2018.269) ist auch für Schweizer Banken bemerkenswert. Das Urteil schmälert im Ergebnis den Drittschutz im Geschäftsverkehr in starkem Masse. Dieser Beitrag diskutiert die Bedeutung dieser neuen Rechtsprechung und weist auf mögliche nachteilige Konsequenzen für Schweizer Finanzinstitute beim Eingehen von Kundenbeziehungen mit liechtensteinischen juristischen Personen hin.

1. Ausgangsfall

Im Entscheid des OGH ging es darum, dass die Vermögenswerte einer Stiftung ("übertragende Stiftung") auf Veranlassung des Stifters auf eine andere Stiftung ("übernehmende Stiftung") übertragen wurden. Bei der übertragenden Stiftung handelte es sich um eine Familienstiftung nach liechtensteinischem Recht, welche verschiedene Beteiligungen des Familienkonzerns vereinte. Die beiden Mitglieder des Protektorats der übertragenden Stiftung agierten zugleich als Stiftungsratsmitglieder der übernehmenden Stiftung.

Im Kern hatte der OGH zu beurteilen, ob die Stiftungsräte der übertragenden Stiftung ausreichend vertretungsbefugt waren, um die Vermögenstransaktion durchzuführen. Diese Frage stellte sich deshalb, weil die Statuten der übertragenden Stiftung eine Ausschüttung des gesamten Stiftungsvermögens nur unter der Voraussetzung erlaubten, dass der ursprüngliche Zweck erhalten bleibt. Der OGH kam zum Schluss, dass die Übertragung eine Zweckentfremdung (vorliegend eine Erweiterung des Zwecks) zur Folge hatte und die organschaftliche Vertretungsbefugnis (im Innenverhältnis) somit überschritten wurde. Da die Protektoren der übertragenden Stiftung Kenntnis des Zwecks gehabt haben sollten (Erkundigungspflicht) und zugleich Stiftungsratsmitglieder der übernehmenden Stiftung waren, rechnete der OGH der übernehmenden Stiftung das diesbezügliche (tatsächlich nicht vorliegende) Wissen zu und schützte sie nicht in ihrem Vertrauen in die Rechtswirkungen des Rechtsgeschäfts. Er erklärte die Vermögenstransaktion aus diesem Grund als unwirksam. Dabei erachtete der OGH den Umstand, dass im Vorfeld der Transaktion beigezogene Rechtsberater die vollständige Ausschüttung des Stiftungsvermögens als mit dem Zweck der übertragenden Gesellschaft vereinbar erklärten, als irrelevant.

2. Grenze organschaftlicher Vertretungsmacht

Als organschaftliche Vertretung wird im Gesellschaftsrecht das Handeln juristischer Personen durch ihre Organe bezeichnet. Es wird dabei unterschieden zwischen Vertretungsmacht und Vertretungsbefugnis: Während die Vertretungsmacht all jene Rechtshandlungen umfasst, die ein Organ im Aussenverhältnis für die Gesellschaft eingehen kann, regelt die Vertretungsbefugnis, wozu das Organ nach geschäftsinternen Regeln befugt ist.

m Ausgangsfall war der konkrete Umfang der Vertretungsmacht ausschlaggebend für die Wirksamkeit der Vermögensübertragung. Sowohl der schweizerische wie auch der liechtensteinische Gesetzgeber geht im Grundsatz von einer unbeschränkten organschaftlichen Vertretungsmacht aus: Die juristische Person wird durch das rechtsgeschäftliche Handeln des Organs unmittelbar verpflichtet (Art. 55 Abs. 2 ZGB und Art. 187 Abs. 1 PGR). Das schweizerische Recht erkennt im Unternehmensgegenstand allerdings zugleich die Schranke der Vertretungsmacht (siehe bspw. Art. 718a Abs. 1 OR zur Aktiengesellschaft; diese Vorschrift gilt gemäss der Lehre auch für die schweizerische Stiftung). So wird der gutgläubige Dritte in seinem Vertrauen auf die Vertretungsbefugnis des Organs nicht geschützt, wenn das Rechtsgeschäft direkt und offensichtlich im Widerspruch zum Gesellschaftszweck steht. Das gesetzliche Pendant im liechtensteinischen Recht hält dazu fest: Die juristische Person wird durch Handlungen, die den Zweck des Unternehmens überschreiten, nicht verpflichtet, wenn sie beweist, dass dem Dritten die Überschreitung bekannt war oder nach den Umständen bekannt sein musste (Art. 187a Abs. 2 PGR). Diese Gesetzesbestimmung, welche ihren Ursprung in der Umsetzung der europäischen Publizitätsrichtline hat, ist gemäss dem OGH auch auf Stiftungen anwendbar.

3. Aushebelung des Verkehrsschutzes für Dritte

Ziel der europäischen Publizitätsrichtlinie ist der Verkehrsschutz: Gutgläubige Dritte sollen in ihrem Vertrauen in die Rechtshandlungen der Organe geschützt werden. Der Wortlaut von Art. 187a Abs. 2 PGR impliziert denn auch, dass Gesamtumstände vorliegen können, die dazu führen, dass dem Dritten die mangelnde Kenntnis gerade nicht vorwerfbar ist. Im beurteilten Fall bestätigten externe Experten die Zulässigkeit der Vermögenstransaktion. Eine Zwecküberschreitung wurde selbst im Nachhinein durch externe Gutachter und das Fürstliche Landgericht als Vorinstanz verneint. Die Unzulässigkeit war – trotz sorgfältigen Abklärungen – offenbar nur schwer erkennbar.

Der OGH interpretierte Art. 187a Abs. 2 PGR vorliegend indessen auf andere Weise: Der OGH kam zum Schluss, dass ein Dritter, der den Zweck der Stiftung kennt oder kennen muss, die Nachteile einer Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts selbst bei Anwendung grösster Sorgfalt nicht verhindern kann. Dem Dritten wird bei Kenntnis oder Kennenmüssen des Zwecks automatisch auch Kenntnis der Überschreitung des Zwecks unterstellt, ohne dass es ihm möglich ist, das Gegenteil zu beweisen (unwiderlegbare Vermutung der Kenntnis).

Die Rechtsprechung des OGH führt im Ergebnis dazu, dass der Verkehrsschutz für Dritte faktisch unterlaufen wird. Dass die blosse Kenntnis der Statuten bzw. des Zwecks nicht zwangsweise bedeutet, dass auch jede Zwecküberschreitung erkannt wird oder erkannt werden kann, zeigt der Ausgangsfall auf exemplarische Weise. Verschiedene Experten kamen bei Auslegung des Zwecks zum Schluss, dass die vollständige Vermögensausschüttung erlaubt sei. Die Interpretation des OGH hat zur Folge, dass der Dritte bei Kenntnis der Statuten letztlich das Risiko trägt, dass der Zweck allenfalls falsch ausgelegt wird. Ihm bleibt auch kein Spielraum, um der Gefahr einer allfälligen Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts durch sorgfältiges Handeln (z.B. Einholung eines Gutachtens) vorzubeugen. Diese Exposition des Dritten steht in besonderem Kontrast zur Verantwortlichkeit der Organe, die bei sorgfältigem Handeln trotz nachträglichem Misserfolg keine Haftung trifft.

4. Auswirkungen auf den Geschäftsverkehr

Das Urteil des OGH hat auch für den allgemeinen Geschäftsverkehr weitreichende Implikationen. So erhält eine Bank im Zusammenhang mit einer Depoteröffnung und erst recht bei der Geldwäschereiprüfung zwangsläufig Kenntnis vom Zweck einer Stiftung. Für Schweizer Banken ist das Eingehen von Kundenbeziehungen mit liechtensteinischen Stiftungen – oder liechtensteinischen Gesellschaften generell – folglich mit schwer abschätzbaren Risiken behaftet: Weist das Stiftungsorgan einer liechtensteinischen Stiftung eine Bank an, eine Ausschüttung vorzunehmen, so trägt letztere die Gefahr, dass sich die Anordnung im Nachhinein aufgrund einer schwer erkennbaren Zweckwidrigkeit als unzulässig erweisen könnte. In einem solchen Szenario trifft die Bank ein Doppelzahlungsrisiko und im Lichte der Rechtsprechung des OGH hat sie keine Handlungsoptionen (etwa mit einem Gutachten), um sich von dieser Haftung zu befreien.

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