Das Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) Deutschland-Schweiz birgt eine Reihe von Abweichungen zum OECD-Musterabkommen und damit auch unliebsame Überraschungen in Bezug auf die grenzübergreifende Besteuerung zwischen den beiden Ländern. Eine Besonderheit ist dabei zweifelsohne die sogenannte überdachende Besteuerung, die Deutschland einseitige Besteuerungsvorteile gewährt.

Grundsätzlich gibt es zwei Varianten der überdachenden Besteuerung. Sowohl die «fiktive Ansässigkeit» als auch die Abwanderer-Regelung sind im Artikel 4 des DBA Deutschland-Schweiz zu finden und werden im Nachfolgenden näher erläutert.

Fiktive Ansässigkeit

Die Sonderregelung der fiktiven Ansässigkeit im Art. 4 (3) des DBA Deutschland-Schweiz gilt für in der Schweiz ansässige Personen, die in Deutschland eine Wohnstätte haben, die sie regelmässig nutzen könnten bzw. die in Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt von mindestens 6 Monaten im Kalenderjahr haben.

Ständige Wohnstätte

Die «Wohnstätte» ist vom eigentlichen «Wohnsitz» zu unterscheiden. Während der «Wohnsitz» nach Schweizer Recht als der Ort «mit der Absicht des dauernden Verbleibens» definiert ist (Art. 23 Abs. 2 (a) ZGB) und nach deutschem Recht als  Ort gilt, der darauf schliessen lässt, dass die «Wohnung beibehalten und benutz[t]» wird (§ 8 AO), ist eine «Wohnstätte» weder im DBA Deutschland-Schweiz noch im deutschen Recht näher definiert.

Der deutsche Bundesfinanzhof (BFH) hat als «Oberster Gerichtshof des Bundes für Steuern und Zölle» in einer Reihe von Gerichtsurteilen entschieden, was als «Wohnstätte» zu werten ist. Das bedeutet aber auch, dass es noch nicht abschliessend geklärt ist, was in Deutschland überhaupt als «Wohnstätte» gilt und wie diese vor allem vermieden werden kann.

Anhand der bisherigen Urteile des BFH lässt sich grundlegend systematisieren, dass wahrscheinlich keine ständige Wohnstätte in Deutschland vorliegt, wenn man eine Wohnung unregelmässig an maximal 73 Tagen pro Jahr nutzt, nicht in Deutschland beruflich tätig ist und keine weiteren wirtschaftlichen Interessen in Deutschland vorliegen, d.h. man keine Vermögen oder sonstigen Einkommen in Deutschland hat.

Eine ständige Wohnstätte ist hingegen gegeben, wenn die Wohnung an mehr als 50 Tagen pro Jahr in Verbindung mit beruflichen oder wirtschaftlichen Interessen genutzt wird, d.h. wenn man einer Erwerbstätigkeit in Deutschland nachgeht oder grösseres Vermögen in Deutschland besitzt.

Gewöhnlicher Aufenthalt

Gemäss § 9 AO gilt es als gewöhnlicher Aufenthalt, wenn eine Person «an diesem Ort ... nicht nur vorübergehend verweilt» und es dabei eine zusammenhängende Aufenthaltsdauer von mehr als 6 Monaten gibt. Kurzfristige Unterbrechungen (beispielsweise für Heimreisen über das Wochenende oder Ferien) werden dabei nicht berücksichtigt.

Das bedeutet, dass Mitarbeiter, die häufig zu Geschäftsreisen in Deutschland sind oder dort regelmässig einer Tätigkeit an einigen Tagen pro Woche nachgehen, schnell einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Gleiches gilt, wenn Entsendungen von 6 Monaten Geschäftsreisen nach Deutschland vorangegangen sind oder die Entsendungen verlängert werden.

Konsequenzen

Bei Vorliegen einer ständigen Wohnstätte oder eines gewöhnlichen Aufenthaltes in Deutschland wird eine fiktive Ansässigkeit in Deutschland angenommen, die zu einer sogenannten überdachenden Besteuerung führt.

Das bedeutet, dass Deutschland alle Einkünfte so besteuern darf, als ob Deutschland (und nicht die Schweiz) der Ansässigkeitsstaat wäre. Damit sind auch Einkünfte aus Kapitalvermögen und alle nicht-schweizerischen Arbeitstage in Deutschland zu versteuern.

Die überdachende Besteuerung führt dazu, dass es sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz zu einer unbeschränkten Steuerpflicht kommt. Die Schweizer Besteuerung bleibt von der zusätzlichen Steuerpflicht in Deutschland unberührt; allerdings werden etwaige in der Schweiz geleistete Steuern an die deutsche Steuerbelastung angerechnet. Demnach kommt für den Mitarbeiter letztendlich das deutsche Steuerniveau zum Tragen.

Abwanderer-Regelung

Die Abwanderer-Regelung des DBA Deutschland-Schweiz besagt im  Art. 4 (4), dass Personen, die ihren Wohnsitz von Deutschland in die Schweiz verlagern, im Jahr des Wegzugs und für weitere 5 Jahre weiterhin in Deutschland steuerpflichtig bleiben, sofern sie nicht einer echten unselbständigen Tätigkeit für einen Arbeitgeber nachgehen. Die Abwanderer-Regelung betrifft daher vornehmlich selbständig erwerbende Personen (d.h. Unternehmer) und nicht Arbeitnehmer.

Die Abwanderer-Regelung gilt für alle Staatsangehörige – ausser Schweizer Staatsbürger – und setzt wesentliche Bestimmungen des DBA Deutschland-Schweiz ausser Kraft, um Deutschland ein weitreichendes Besteuerungsrecht zu gewähren. Die gängige Legitimierung ist hierbei, dass das Steuergefälle zwischen Deutschland und der Schweiz nicht ausgenutzt werden soll.

Fazit

Die Besonderheit der überdachenden Besteuerung gibt es in dieser Form nur im DBA Deutschland-Schweiz. Ferner ist die fiktive Ansässigkeit auch nur für in der Schweiz lebende Personen, die in Deutschland tätig sind oder Vermögenswerte haben, relevant und gilt nicht im Umkehrschluss auch für Personen mit deutschem Wohnsitz, die in der Schweiz tätig sind. Die Abwanderer-Regelung gilt zudem nur für Personen, die von Deutschland in die Schweiz abwandern und nicht für Personen, die von der Schweiz nach Deutschland auswandern.

Deutschland ist es mit der einseitigen Sonderregelung der überdachenden Besteuerung gelungen, sich einen nicht unerheblichen Vorteil bei der Erhebung von Einkommenssteuern zu sichern. In der Schweiz ansässige Mitarbeiter, die wiederkehrend in Deutschland tätig sind, sollten sich daher grundlegend mit der Thematik der überdachenden Besteuerung auseinandersetzen und sich nicht auf die 183-Tage-Regelung verlassen, da diese durch die überdachende Besteuerung ausgehebelt wird.

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