A. Einleitung

Für gewöhnlich dauert die Zwangsvollstreckung so lange, bis ihr Ziel erreicht ist, d.h. bis zur Durchsetzung des Anspruches in Form der Befriedigung des Gläubigers, sei es durch Begleichung der Forderung oder Durchführung der geforderten Handlung

Im Verlauf des Verfahrens ergeben sich jedoch nicht selten Umstände, die das Vollstreckungsrecht des Antragstellers beeinträchtigen oder gar verhindern.

Namentlich kann die Kontinuität der Zwangsvollstreckung durch das Rechtsinstitut der Aussetzung zumindest unterbrochen werden.

Die Aussetzung kann das Verfahren durch eine Entscheidung der gesetzlich festgelegten Stelle unter Umständen gar beenden. Wird ein Antrag hierzu gestellt, muss das Gericht das Aussetzungsinteresse gegen das Vollzugsinteresse des Gläubigers abwägen, so hat es alle die Umstände zu berücksichtigen, die zur Aussetzung des Verfahrens führen sollen.

B. Die Aussetzung der Zwangsvollstreckung im ungarischen Vollstreckungsrecht

1. Allgemeines

Anders als im deutschen Rechtssystem, indem das Zwangsvollstreckungsrecht als Teil des Prozessrechtes behandelt wird, kennt die ungarische Rechtsordnung ein eigenes Zwangsvollstreckungsgesetz, das Gesetz LIII von 1994 über die gerichtliche Durchsetzung. Im § 48 jenes Gesetzes (im Folgenden: Vht.) sind drei Fallgruppen der Aussetzung geregelt: differenziert wird hierbei danach, wer die Vollstreckung unterbrechen will. Zunächst sind die Fälle geregelt, in denen die Aussetzung für die Person, die die Vollstreckung beantragt, also für den Vollstreckungsgläubiger bestimmt ist. Denklogisch folgt die Fallgruppe in denen der Schuldner die Vollstreckung unterbrochen haben möchte. Die dritte Fallgruppe bezieht sich auf Vollstreckungsvorgänge, in die ein Dritter, beispielsweise als Pfandgläubiger in das Vollstreckungsverfahren verwickelt ist.

2. Aussetzung auf Antrag des Gläubigers oder Dritter

Nach dem Grundsatz der Dispositionsmaxime, ist nicht nur der Beginn, sondern auch die Beendigung und somit auch die Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens in die Verfügungsmacht des Vollstreckungsgläubigers gestellt.

So wird die Vollstreckung gemäß dem Verfügungsrecht des Vollstreckungssuchenden ausgesetzt, wenn die Aussetzung nicht die Rechte anderer verletzt (z.B. unabhängiger Gerichtsvollzieher, Auktionskäufer, u.U. Insolvenzverwalter); in diesem Fall wird die Vollstreckung ohne Abwägung der Interessenlage ausgesetzt.

Das Gericht muss jedoch eine Interessenabwägung bei mehreren Antragstellern der Vollstreckung vornehmen und hierbei die Auswirkungen der Aussetzung auf die anderen Gläubiger prüfen.

3. Aussetzung auf Antrag des Schuldners

In der Praxis stellen jedoch in der Regel die Schuldner einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung. So soll sich der nachfolgende Artikel vor allem um die in diesem Problemkreis aufgewogenen Rechtsfragen, insbesondere unter Beachtung der derzeitigen Coronakrise und der aufgrund dieser ergangenen Verordnung 40/2020. (III. 11.) und darauf basierender weiterer Verordnungen der Regierung der Republik Ungarn, drehen.

Die Aussetzung der Zwangsvollstreckung verläuft hierbei nach §48 III des Vht.; Sie ist nur im Ausnahmefall unter Abwägung der Interessen der Gläubiger und des Schuldners auf Antrag des Schuldners ins Ermessen des Gerichtes gestellt, wenn der Schuldner das Vorliegen der der Schuldner den eine Veranlassung zur einstweiligen Einstellung gebenden und der Berücksichtigung würdigen Umstand nachgewiesen hat, und ihm nicht bereits früher im Laufe des Vollstreckungsverfahrens eine Ordnungsstrafe auferlegt wurde. Die in der Abwägung zu berücksichtigenden Umstände sind in Abs. 5 der Norm beispielhaft spezialisiert, so sind insbesondere soziale Aspekte, wie die Zahl der Personen, für die der Schuldner unterhaltspflichtig ist, oder das Vorliegen einer dauerhaften und schweren Erkrankung einzubeziehen.

Mit dem Ausnahmevorbehalt stellt der Gesetzgeber die Aussetzung des Verfahrens auf Veranlassung des Schuldners bewusst hohe Anforderungen an diese. So sind bei der Abwägung nicht nur an den Vortrag, sondern auch an das Beweismaß strengere Beurteilungsmaßstäbe anzulegen, als bei einer Veranlassung der Aussetzung durch einen Gläubiger.

Die Umstände, auf die sich der Schuldner in seinem Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung beruft, müssen also solch schwerwiegenden Charakter haben, dass eine Fortführung der Zwangsvollstreckung für den Schuldner unzumutbar wäre.

Bei der Prüfung eines Antrags auf Aussetzung der Vollstreckung ist somit das Befriedigungsinteresse des Gläubigers grundsätzlich höherwertiger anzusehen, als das Aussetzungsinteresse des Schuldners, bei objektiv gleichwertigen Gründen.

Dennoch können auch nur vorübergehende Gründe, selbst wenn ein Wegfall dieser zu erwarten ist, zur Aussetzung des Verfahrens ausreichen, wenn hierbei eine Abwägung die zeitnahe Vollstreckung für den Schuldner eine nicht hinzunehmende Unbilligkeit darstellen würde. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn diese, sei es nur vorübergehenden Gründe, erst nach Beginn der Vollstreckung auftragen oder bekannt wurden. Dennoch ist der Ausnahmecharakter anhand der Schwere der vorgebrachten Tatsachen zu beurteilen, wobei stets die in §48 Abs. 5 Vht. gennanten Beispiele als Maßstab herangezogen werden sollen.

Wie bereits genannt, ist eine dauerhafte und schwere Krankheit des Schuldners grundsätzlich eines der genannten Beispiele und könnte geeignet sein, die Aussetzung der Zwangsvollstreckung zu begründen.

C. Die Corona‐Krise, die Verordnungen der Regierung und Beurteilungen der Begründungen der Aussetzungsanträge

1. Allgemeines

Der ungarische Gesetzgeber hat zur Gefahrenabwehr in Zusammenhang mit der seit März 2020 weltweit um sich greifenden Coronapandemie eine vorübergehenden aber zeitlich zunächst für unbestimmte Zeit geltenden Ausnahmezustand in Form der Verordnung 40/2020 (III. 11.) angeordnet. Diese Verordnung sieht neue Regelungen für viele Normen vor, so wurden auch Regelungen bezüglich des Fortganges verschiedenster Verfahren, teils in der Verordnung selbst, teils durch auf sie beruhende Folgeverordnungen, getroffen.

2. Begründung mit der ,Entscheidungspause'

Eine diese Folgeverordnungen ist die Verordnung über die Sicherung der Lebens‐ und Vermögensgrundlagen zum Schutze der Bürger in der Gefahrensituation, Verordnung Nr. 45/2020 (III. 14.), in deren §1 eine ,Entscheidungspause' geregelt wurde.

In der Folge dieser Verordnung stellten viele Vollstreckungsschuldner einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, mit der Begründung, durch das Pandemiegeschehen und die damit einhergehende Beschränkung des öffentlichen, wie auch des Arbeitslebens durch die ,Entscheidungspause' sei ein weitgehender Rechtsschutz nach Durchführung der Vollstreckung nicht möglich. So sei den Schuldnern eine rechtstaatlich nicht hinnehmbare Benachteiligung gegenüber denjenigen gegeben, die einer Vollstreckungssituation außerhalb der ,Entscheidungspause' unterzogen seien.

Entgegen der Auffassung der Antragssteller, hat sich die Regierung für Ausnahmeregelungen für das Vollstreckungsverfahren jedoch eine gesonderte Verordnung, namentlich die Verordnung über hoheitliche Maßnahmen der Vorbeugung und Abwehr von Pandemien (...) ausgehenden Gefahren für Leib, Leben, Gesundheit und Vermögensnachteile im Zusammenhang mit Vollstreckungsverfahren, der Verordnung 57/2020. (III. 23.) vorbehalten, in dessen §7 Abs. 2 die in §48 Abs. 3 und 5 genannten Voraussetzung für die ausnahmsweise Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens durch den Schuldner um die alternativ nachweisbare konkrete durch das Pandemiegeschehen und damit verbundener Abwehrmaßnahmen unzumutbare Lebenssituation erweitert hat. Hierbei hat der Verordnungsgeber sich bewusst auf die bereits bestehende Gesetzeslage bezogen, die selbst schon restriktiv ausformuliert und auch so anzuwenden ist. So sind auch an den zusätzlich eingeführten Ausnahmetatbestand enge Anforderungen zu stellen. So bedeute eine Pause für Entscheidungen, beispielsweise in einem Revisions‐ oder Widerspruchsverfahren nach einem durchgeführten Vollstreckungsverfahren keine solche vom §7 II der zuvor genannten Verordnung geforderte außergewöhnliche Lebenssituation. So sei es beispielsweise möglich, die Rechtmäßigkeit der sowieso schon durchgeführten Vollstreckung auch nach Wegfall des pandemiebedingten Ausnahmezustandes zu überprüfen.

Auch haben die meisten Antragsteller verkannt, dass die oben bezeichnete ,Entscheidungspause' am 30. März 2020 beendet wurde, und eine nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungen somit wieder möglich war.

3. Begründung mit der Stundungsmöglichkeit von Raten in Dauerschuldverhältnissen

Einige Aussetzungsanträge wurden damit begründet, dass die Folgeverordnung zur Pandemiebekämpfung 47/2020 (III. 18.) im §1 Abs. 1 Schuldnern von Dauerschuldverhältnissen unter gewissen Voraussetzungen eine Stundung der Zahlungen ermöglichte. Jedoch dürfte auch diese Begründung einer Aussetzung nicht standhalten. Die Antragssteller verkannten hierbei, dass sich die Verordnung nur auf die Fälligkeit von Forderungen in Dauerschuldverhältnissen beziehe, die Vollstreckung aber regelmäßig schon das Vorliegen eines vollstreckungsfähigen Titels erfordere, eine Zahlungspflicht also schon bestand, und eine rückwirkende Stundung nicht geregelt sei. So wurden in der Gerichtspraxis Anträge, die auf die genannte Verordnung gestützt wurden, richtigerweise abgelehnt.

4. Begründung mit dem Pandemiegeschehen selbst und/oder zukünftiger Folgen

Nicht zuletzt begründeten viele Antragssteller eine Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens mit dem Pandemiegeschehen und der daraus resultierenden Krise direkt. Diese kann zwar einen der Ausnahmetatbestände des §48 III des Vht. oder des Absatzes 2, §7 der Verordnung 57/2020 (III. 23) darstellen. Allerdings wurden auch viele dieser Anträge richtiger weise abgelehnt. Das Vorliegen einer schweren und dauerhaften Krankheit i.S.d. §48 III Vht. ist keine gesetzliche Vermutung, sondern weiterhin einen Ausnahmetatbestand darstellt, der vom Antragssteller zu beweisen ist. Auch die Schaffung besonderer Verordnungen und das Ausrufen eines Ausnahmezustandes lassen diese Beweispflicht nicht nichtig werden. Vielmehr stellt der Staat als Verordnungsgeber durch die Schaffung eines weiteren Ausnahmetatbestandes in Absatz 2, §7 der Verordnung 57/2020 (III. 23) klar, dass er an dem Ausnahmecharakter der durch den Schuldner beantragten Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens festhält. So sind Antragssteller, die eine schwere dauerhafte Erkrankung durch die Pandemie nicht beweisen, mit ihrem Antrag abzulehnen.

Auch eine Begründung nach Absatz 2, §7 der Verordnung 57/2020 (III. 23) erfordert ein konkretes Darlegen und Beweisen einer unzumutbaren Situation, lediglich ein Verweis auf die Krise, die dem Gericht ohnehin bekannt sein dürfte, genügt auch hierbei nicht.

Nicht zuletzt seien die in Vielzahl abgelehnten Anträge genannt, in denen die Antragsteller den Antrag mit zukünftig zu erwartenden wirtschaftlichen Verwerfungen begründet wurden. Auch diese Anträge mussten unter den oben genannten Bewegründen und der Rechtssystematik einer Aussetzung richtiger weise abgelehnt werden. Ebenso wie der Verweis auf die Pandemie oder die daraus resultierende Krise allgemein keinen tauglichen Aussetzungsgrund in der Person des Schuldners darstellen, kann ein zu erwartender Nachteil den Anforderungen in Hinblick auf den Ausnahmecharakter einer Vollstreckungsaussetzung nicht genügen.

D. Fazit

Vielmehr ist allgemein festzuhalten, dass der Verordnungsgeber durch Erlass der Verordnungen nicht den Anforderungsmaßstab an die bereist zuvor gesetzlich eng umrissenen Voraussetzungen für den Schuldner aufzuweichen gedachte. Der neue Absatz 2, §7 der Verordnung 57/2020 (III. 23) bestätigt die restriktive Auslegung der Ausnahmetatbestände, und erweitert diesen lediglich um einen in der Person des Antragsstellers selbst liegenden Ausnahmetatbestand einer unzumutbaren durch die Pandemie hervorgerufene Lebenslage, die aber ihrerseits substantiiert vorzutragen und zu beweisen ist. Der restriktive Beurteilungsmaßstab der Gerichte wurde somit nicht verändert; Vollstreckungsaussetzungen dürfen zwar weiterhin ausgesprochen werden, doch sind in keineswegs geringere Anforderungen an das Vorliegen der Voraussetzungen zu stellen. Letztendlich bleiben auch in der Krise die Grundsätze der Formalisierung und möglichst zeitnahen Durchführung der Zwangsvollstreckung in Kraft.

Karl‐Barnim Reincke

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