A. Was ändert sich und wie ist der Zeitplan?

Aktuell ist damit zu rechnen, dass die ersten Einheitspatente noch in diesem Jahr erteilt werden können. Sobald das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) wie erwartet Ende 2022 in Kraft tritt, kann für jedes danach erteilte europäische Patent einheitliche Wirkung" beantragt werden. Stand jetzt würde das Einheitspatent seine einheitliche Wirkung" in 17 Ländern entfalten, darunter u. a. in Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden. Das europäische Patent muss dann nicht mehr in den 17 Ländern einzeln validiert werden und für jedes Einheitspatent muss nur eine Jahresgebühr zentral beim Europäischen Patentamt (EPA) bezahlt werden, anstelle von 17 Jahresgebühren bei den 17 einzelnen nationalen Patentämtern. Für die übrigen Länder, in denen ein europäisches Patent validiert werden kann, die aber nicht dem neuen System angehören, bliebe es wie bisher beim Bündelpatent und der Notwendigkeit der nationalen Validierung. Dazu gehören insbesondere das Vereinigte Königreich und Spanien.

Das neu geschaffene Einheitliche Patentgericht (EPG) ist dann sowohl hinsichtlich Fragen der Patentverletzung als auch der Rechtsbeständigkeit von Einheitspatenten ausschließlich zuständig. Aber auch hinsichtlich bestehender und zukünftig erteilter europäischer Bündelpatente ist das EPG grundsätzlich zuständig. Sowohl zu Einheitspatenten als auch Bündelpatenten kann dann zentral in einer Entscheidung über Verletzung bzw. Rechtsbestand entschieden werden. Eine Entscheidung entfaltet ihre Wirkung beim Einheitspatent einheitlich für alle 17 Länder des neuen Systems bzw. beim Bündelpatent für diejenigen der 17 Länder, in denen das Bündelpatent validiert wurde. Im Unterschied zum Einheitspatent sind für Bündelpatente während einer Übergangszeit von sieben bis 14 Jahren sowohl die nationalen Gerichte als auch das EPG zuständig. Innerhalb der gleichen Übergangszeit kann die Zuständigkeit des EPG für die gesamte Laufzeit eines Bündelpatents vom Patentinhaber ausgeschlossen werden (Opt-Out).

Die Frage, ob Anmelder das Einheitspatent beantragen oder lieber beim Bündelpatent bleiben sollen, das nach wie vor auch für alle Länder des EPGÜ als Option verbleibt, stellt sich also sehr zeitnah. Selbst wenn Anmelder zumindest zunächst beim erprobten Bündelpatent bleiben wollen, stellt sich die Frage, ob sie ihre Bündelpatente der Gerichtsbarkeit (auch) des neu geschaffenen EPG unterwerfen wollen oder dies durch einen Opt-Out ausschließen.

Die aktuell 17 teilnehmenden Länder sind in der nachfolgenden Übersicht gelb hervorgehoben.

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B. Wie erhalte ich ein Einheitspatent und ab wann?

Das Erteilungsverfahren bleibt wie gehabt: Anmelder reichen beim EPA eine europäische Patentanmeldung ein. Nach Erteilung besteht dann die Option durch einen entsprechenden Antrag auf einheitliche Wirkung das erteilte Bündelpatent für die aktuell 17 Mitgliedsländer in ein Einheitspatent zu wandeln.

Der Antrag auf einheitliche Wirkung kann für alle nach dem Inkrafttreten des EPGÜ vom EPA erteilten Patente innerhalb eines Monats nach Erteilung beantragt werden. Das Inkrafttreten des EPGÜ erfolgt ca. drei bis vier Monate nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde durch Deutschland (genauer: am ersten Tag des vierten Monats nach der Hinterlegung). Mit der Hinterlegung wird ab Mitte des Jahres 2022 gerechnet, so dass das EPGÜ Ende 2022 oder spätestens Anfang 2023 in Kraft treten sollte.

Eine Amtsgebühr ist für den Antrag auf einheitliche Wirkung nicht vorgesehen. Allerdings ist eine vollständige Übersetzung des Patents nötig, die jedoch nur informativen Charakter hat und auch nur in einer Übergangszeit von sechs bis zwölf Jahren eingereicht werden muss. Sofern das Patent in Deutsch oder Französisch gefasst ist, ist eine Übersetzung ins Englische nötig. Wenn das Patent in englischer Sprache erteilt wurde, kann die Übersetzung in eine beliebige Sprache der Europäischen Union erfolgen.

Damit das Einheitspatent zeitnah genutzt werden kann, hat das EPA zwei Übergangsmaßnahmen beschlossen, die ab dem Tag der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde durch Deutschland genutzt werden können. Zum einen kann die Erteilung europäischer Patente auf nach dem Inkrafttreten des EPGÜ verschoben werden1, damit diese zum Einheitspatent gemacht werden können. Zum anderen kann für zur Erteilung anstehende Anmeldungen bereits ein Antrag auf einheitliche Wirkung gestellt werden2, damit die einheitliche Wirkung unmittelbar nach Inkrafttreten des EPGÜ eintreten kann.

C. Kosten sowie Vor- und Nachteile des Einheitspatents

Beim Bündelpatent sind Jahresgebühren in allen Vertragsstaaten des EPÜ separat zu zahlen, in denen es validiert wurde; zum Teil kommen in manchen Vertragsstaaten auch noch Übersetzungskosten für die Validierung hinzu. Demgegenüber ist für das Einheitspatent lediglich eine einheitliche Jahresgebühr an das EPA zu zahlen, zu der aktuell noch die Kosten für die nötige Übersetzung kommen. Die Bemessung der Jahresgebühren für das Einheitspatent beruht auf dem Modell True Top 4"3. Sie entsprechen in etwa den Gebühren, die für in Deutschland, Frankreich, Niederlande und dem Vereinigten Königreich validierte Patente zu zahlen wären. Der Brexit und damit das Ausscheiden des Vereinigten Königreiches, das ursprünglich Teil des neuen Systems war, wurde bisher nicht zum Anlass genommen, die Jahresgebühren neu zu justieren.

Im Vergleich zu einer Validierung eines Bündelpatents in allen 17 aktuellen Mitgliedsländern des neuen Systems bietet das Einheitspatent über seine Lebensdauer eine hohe Kostenreduktion (ca. -60 %). Viele europäische Patente sind derzeit allerdings lediglich in Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich validiert. Für eine entsprechende Abdeckung dieser Länder durch ein Einheitspatent und ein im Vereinigten Königreich validiertes Bündelpatent ergäben sich deutlich höhere Kosten (ca. +60 %) im Vergleich zur reinen Bündelpatentlösung. Auch unter Berücksichtigung geringerer administrativer Kosten zur Validierung und Überwachung der einzelnen Jahresgebühren wäre das Einheitspatent erst dann günstiger als ein Bündelpatent, wenn letzteres noch in zwei weiteren Ländern validiert werden soll, die das Einheitspatent bereits abdeckt (z. B. Italien und die Niederlande). Für Patente aus dem Pharmabereich wäre dies häufiger zu erwarten, während es in vielen anderen Bereichen eher als Ausnahme erscheint.

Das Einheitspatent bietet den Vorteil der einfacheren und kostengünstigeren Durchsetzung in allen aktuell 17 Ländern mit einer einzigen Klage. Allerdings wird es auch mit dem Bündelpatent möglich sein, dieses mit einer Klage in allen der aktuell 17 Länder geltend zu machen, in denen validiert wurde, sofern kein Opt-Out erklärt wurde. Beim Einheitspatent verliert der Patentinhaber die Flexibilität, die ihm das Bündelpatent während der langen Übergangszeit bietet, nämlich zwischen einer Durchsetzung beim EPG und den nationalen Gerichten wählen zu können. Zu bedenken ist auch, dass beim Einheitspatent die Möglichkeit wegfällt, während der Laufzeit durch das Fallenlassen einzelner Länder die Gebührenlast zu senken, wie dies bei Bündelpatenten möglich ist. 

Für eine Entscheidung pro Bündelpatent oder pro Einheitspatent sind daher die Umstände des Einzelfalls zu prüfen, wobei einiges dafürspricht, das Einheitspatent nur bei Interesse an Patentschutz in einer großen Anzahl von Mitgliedsländern des EPGÜ zu beantragen. 

D. Soll für Bündelpatente ein Opt-Out erklärt werden?

Innerhalb einer Übergangszeit von sieben bis 14 Jahren, kann der Opt-Out für ein Bündelpatent erklärt werden, um es der Zuständigkeit des EPG zu entziehen. Eine Amtsgebühr ist hierfür inzwischen nicht mehr vorgesehen. Ein Opt-Out gilt für die gesamte Lebensdauer des jeweiligen Patents, kann aber jederzeit zurückgenommen werden. Ein Opt-Out ist allerdings nicht mehr möglich, wenn bereits eine Klage beim EPG betreffend das entsprechende Bündelpatent eingereicht worden ist. Umgekehrt ist die Zurücknahme des Opt-Outs ausgeschlossen, wenn bereits eine nationale Klage betreffend das Patent eingereicht wurde.

Durch den Opt-Out kann der Patentinhaber das Bündelpatent nicht mehr mit einer Klage einheitlich geltend machen. Allerdings wird so auch das Risiko eines Widerrufs in allen EPGÜ-Ländern, in denen das Bündelpatent validiert ist, durch eine zentrale Nichtigkeitsklage vor dem EPG vermieden. Vielmehr kann der Rechtsbestand dann nur noch national angegriffen werden – abgesehen vom Einspruchsverfahren beim EPA, das weiterhin bestehen bleibt.

Häufig wird die Auffassung vertreten, dass Inhaber für ihre Kronjuwelen" einen Opt-Out erklären sollen, um das Risiko einer zentralen Nichtigerklärung zu vermeiden. Das scheint jedoch nicht immer gerechtfertigt: Wertvolle Patente zentral durchzusetzen ist, je nach verfolgter Zielrichtung, eine Chance des neuen Systems, die gegen den Opt-Out streitet. Auch könnte das Gespenst der zentralen Nichtigkeit" durch das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs etwas an Schrecken verloren haben, da selbst im Falle einer Nichtigerklärung vor dem EPG ja ein Bündelpatent in dem zweitgrößten Markt Europas in Kraft bliebe.

Der Opt-Out sollte daher zielgerichtet geprüft werden. Eine Massenflucht vor dem EPG scheint nicht gerechtfertigt.

Für alle nach der Übergangsfrist von 7 bis 14 Jahren erteilten Bündelpatente wird dann ohnehin das EPG ausschließlich zuständig sein. Ein Opt-Out ist für diese Patente dann nicht möglich.

E.  Flankierender Schutz durch nationale Patente möglich

Neben dem Einheitspatent und dem Bündelpatent steht Anmeldern nach wie vor der Weg offen, nationale Patentanmeldungen einzureichen. Für die national erteilten Patente bleiben wie bisher die nationalen Gerichte zuständig. Eine interessante zusätzliche Option ist flankierender nationaler Doppelschutz: Bisher war es nicht möglich, wirksam Patentschutz für ein in Deutschland validiertes europäisches Patent und ein paralleles deutsches Patent zu erlangen, soweit es den gleichen Gegenstand beansprucht. Dies wird sich mit dem Inkrafttreten des EPGÜ ändern: Ein deutsches Patent und ein identisches europäisches Einheitspatent oder ein identisches europäisches Bündelpatent können wirksam erteilt werden, solange im Falle eines Bündelpatent kein Opt-Out erklärt wurde. Der Patentinhaber hätte es dann auch nach der Übergangsfrist in der Hand, im Fall eines Falles entweder aus dem deutschen Patent mit Hilfe der deutschen Zivilgerichte oder dem europäischen Patent mit Hilfe des EPG vorzugehen. In einigen weiteren Ländern des EPGÜ, z. B. Frankreich, wird dies ebenfalls möglich sein.

Footnotes

1 Amtsblatt des EPA 2022, A5

2 Amtsblatt des EPA 2022, A6

3 Zu den Sätzen im Einzelnen siehe Gebührentabelle in Art. 2 der GebO zum einheitlichen Patentschutz, Amtsblatt des EPA 2016, A40

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