Wenn der Arbeitnehmer seinen Jahresurlaub im betreffenden Jahr nicht vollständig in Anspruch genommen oder beantragt hat, soll dieser nach der neuesten Rechtsprechung des EuGH unter Umständen dennoch nicht verfallen. Damit wird die bisher gängige deutsche Praxis, wonach der nicht genommene Urlaub zum 31.12. – spätestens jedoch zum 31.03. des Folgejahres – verfällt, auf den Kopf gestellt.

EuGH, Urteil v. 06.11.2018 – C-684/16

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.08.2001 befristet als Wissenschaftler angestellt. Das Arbeitsverhältnis wurde mehrfach verlängert, zuletzt bis zum 31.12.2012. Im Mai 2013 sandte ein Projektleiter an einige Mitarbeiter, so auch den Kläger, eine E-Mail, wonach die Mitarbeiter darauf hingewiesen werden, dass nicht genommener Urlaub weder ausgezahlt noch an einen neuen Arbeitgeber transferiert werden könne. Im Oktober 2013 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass sein zum Ende des Jahres auslaufender Vertrag nicht verlängert werde. Dabei wurde er auch gebeten, noch nicht genommenen Urlaub bis dahin in Anspruch zu nehmen. Mit Ablauf seines Vertrages hatte der Kläger insgesamt 51 Urlaubstage nicht in Anspruch genommen. Noch am 23.12.2013 verfasste der Kläger ein Schreiben an die Beklagte, in dem er die Abgeltung der nicht beanspruchten Urlaubstage forderte. Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 10.01.2014 ab. Sie vertrat die Auffassung, dass der Kläger den Urlaub bis zum 31.12. hätte in Anspruch nehmen müssen.

Hiergegen erhob der Kläger am 25.06.2014 Klage vor dem Arbeitsgericht. Der Kläger vertrat dabei die Ansicht, dass ihm ein Abgeltungsanspruch aus § 7 Absatz 4 BUrlG zustünde, da er aufgrund dringender betrieblicher Gründe den Urlaub vor Ablauf des Arbeitsverhältnisses nicht in natura in Anspruch nehmen konnte. Insbesondere gelte der gesetzliche Verfall aus § 7 Absatz 3 BUrlG nicht für Abgeltungsansprüche. Die Beklagte hingegen vertrat die Ansicht, dass entscheidend sei, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr genommen werden müsse, ansonsten verfalle dieser. Dies gelte umso mehr bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, da der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer gerade nicht die Wahl überlassen wolle, den Urlaub in Anspruch zu nehmen oder aber für nicht genommenen Urlaub eine Abgeltung zu erhalten. Die behaupteten Gründe für die Nichtinanspruchnahme haben nicht vorgelegen.

Das Arbeitsgericht hatte der Klage stattgegeben. Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Berufung hatte keinen Erfolg. Das BAG hatte das Verfahren am 13.12.2016 dem EuGH vorgelegt mit der Frage, ob § 7 BUrlG mit Artikel 7 Absatz 1 EGRL 88/2003 oder Artikel 31 Absatz 2 GRC kollidiere.

Der EuGH urteilte, dass § 7 BUrlG nicht im Einklang mit den europäischen Regelungen stünde und daher im konkreten Fall nicht angewandt werden könne. Es sei demnach richtlinienwidrig und gegen Art. 31 Absatz 2 GRC, soweit ein Arbeitnehmer am Ende des Bezugszeitraumes die ihm zustehenden Urlaubstage und entsprechend bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses seinen Abgeltungsanspruch für nicht genommene Urlaubstage automatisch verliert, soweit er während des Bezugszeitraumes keinen Urlaubsantrag gestellt hat, wenn nicht vorab geprüft wurde, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer beispielsweise durch hinreichende Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt hat, den Anspruch wahrzunehmen. Die Beweislast hierfür trägt der Arbeitgeber. Könne dieser nicht nachweisen, dass er mit aller gebotenen Sorgfalt gehandelt hat, um den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage zu versetzen, den ihm zustehenden bezahlten Jahresurlaub zu nehmen", sei es richtlinienwidrig, dass der Urlaubsanspruch am Ende des Bezugs- oder Übertragungszeitraums erlösche und die Urlaubsabgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausbleibe. Hat der Arbeitnehmer dagegen aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Konsequenzen seinen Urlaub nicht genommen, nachdem er in die Lage versetzt wurde, seinen Anspruch tatsächlich wahrzunehmen, stehe Artikel 31 Abs. 2 GRCh dem Verlust des Anspruchs oder des Abgeltungsanspruchs nicht entgegen.

Anmerkung:

In der Praxis wird das Urteil zu umfassenden Informationsmaßnahmen der Arbeitgeber gegenüber ihren Arbeitnehmern führen, insbesondere in Form einer rechtzeitigen Mitteilung, wie viel Resturlaub der einzelne Arbeitnehmer für das Jahr noch beanspruchen kann, verbunden mit der Aufforderung, diesen im laufenden Jahr noch zu beanspruchen, da ansonsten der Anspruch bis zum 31.03. des Folgejahres verfalle.

Entscheidend wird es zukünftig sein, die getätigten Aufklärungen zu dokumentieren. Statt mündlicher Aufklärung sollte diese daher wenigstens in Textform erfolgen sowie mit einer Empfangsbestätigung versehen werden. Auch in der Vertragspraxis sollte in Zukunft verstärkt darauf geachtet werden, dass die zumeist bereits übliche Trennung von vertraglichem und gesetzlichem Urlaubsanspruch gesondert hervorgehoben wird. Denn die obige Rechtsprechung findet vor allem in Bezug auf den gesetzlichen Urlaub Anwendung, da eine Andersbehandlung von vertraglichen Urlaubsansprüchen höchstrichterlich gestattet ist. Insbesondere sollte weiterhin darauf geachtet werden, dass die primäre Abgeltung des gesetzlichen Urlaubs vertraglich festgehalten wird. Denn dieser wird dadurch zumeist am Jahresende verbraucht sein, so dass die hiesige Streitfrage dann nicht droht.

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