Am 7. November 2023 fällte das Berufungsgericht Arnheim-Leeuwarden (im Folgenden: Berufungsgericht) ein Urteil, in dem ein Geschäftsführer haftbar gemacht wurde, weil die von ihm geführte Gesellschaft ihre Verpflichtungen nicht erfüllt und der Geschäftsführer der Gesellschaft Vermögenswerte entzogen hatte. In diesem Artikel werden wir den Hintergrund dieses Urteils erläutern, den Verfahrensverlauf erörtern und die Erwägungen des Gerichts darlegen, die zu der Entscheidung führten, dass der Geschäftsführer haftbar war, weil ein hinreichend schweres persönliches Verschulden vorlag.
Hintergrund
In diesem Fall geht es um die Hotradio B.V. und ihren
natürlichen Geschäftsführer (zusammen Hotradio), die
als (indirekte) Geschäftsführer von Telecom Vision
International B.V. (TVI) waren. Für den Leser mit deutschem
Rechtsverständnis ist hier insbesondere relevant, dass
Geschäftsführer im niederländischen
Gesellschaftsrecht auch eine Gesellschaft sein kann.
Die Rechtsfrage ist, ob Hotradio für einen bei Trend Media Groep B.V. (TMG) entstandenen Schaden haftbar gemacht werden kann (können). Dieser Schaden ging daraus hervor, dass TVI gerichtlich festgestellte Verpflichtungen zur Zahlung eines Betrags von mehr als 205.000 Euro an TMG nicht erfüllt hat. Laut TMG haben Hotradio die Beitreibung der Forderung von TMG gegen TVI rechtswidrig vereitelt und haben sie für den hierdurch entstandenen Schaden persönlich zu haften.
Zwischenurteil - 18. Oktober 2022
Im Zwischenurteil vom 18. Oktober 2022 stellte das Berufungsgericht
fest, dass bei einer Pflichtverletzung oder einer rechtswidrigen
Handlung einer Gesellschaft zunächst nur die Gesellschaft
für den daraus resultierenden Schaden haftet. Unter besonderen
Umständen kann jedoch neben der Haftung der Gesellschaft auch
die Haftung eines Geschäftsführers der Gesellschaft
zutreffen. Voraussetzung für die Annahme einer solchen Haftung
ist, dass der Geschäftsführer persönlich für
das Fehlverhalten verantwortlich gemacht werden kann. Die Antwort
auf die Frage, ob dem Geschäftsführer ein
persönliches Verschulden angelastet werden kann, hängt
von der Art und Schwere des Verstoßes gegen die Normen und
den sonstigen Umständen des Falles ab. In diesem
Zwischenurteil erörtert das Berufungsgericht die Anwendung der
Beklamel-Norm und der Norm von Ontvanger/Roelofsen. Beide Normen
sind im niederländischen Recht fest verankerte aus der
Rechtsprechung entwicketle Begriffe, die in Haftungsfällen wie
diesem zur Anwendung kommen.
Das Gericht ist der Auffassung, dass zwischen den Parteien unstreitig ist, dass die TVI ihrer Zahlungsverpflichtung aus einem früheren Gerichtsurteil nicht nachgekommen ist und auch nicht nachkommen wird, weil sie mangels Masse aufgelöst wurde. Insofern ist hinreichend nachgewiesen, dass sie ihren Verpflichtungen zur Zahlung von Schadensersatz an TMG nicht nachgekommen ist.
In diesem Zwischenurteil erlaubt das Berufungsgericht Hotradio, ihre Angaben zur Vermögensentwicklung und zur Vermögenslosigkeit des TVI von 2014 bis einschließlich zum Zeitpunkt der Auflösung detaillierter und konkreter zu erläutern. Dazu können Hotradio die erforderlichen Daten vorlegen, wie z. B. Jahresabschlüsse mit Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen.
Zwischenurteil - 14. März 2023
Im Zwischenurteil vom 14. März 2023 urteilte das
Berufungsgericht dann, dass Hotradio keinen Jahresabschluss mit
Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung sowie dazugehörigen
Unterlagen vorgelegt hatten und insofern das Zwischenurteil vom 18.
Oktober 2022 nicht erfüllt hatten. Sie haben jedoch
Erklärungen in das Verfahren eingebracht, u.a. von dem
früheren Wirtschaftsprüfer von Hotradio und TVI sowie
eine Reihe von Schreiben der Steuerbehörden. Nach Ansicht von
Hotradio sollten all diese Dokumente darlegen, dass es
tatsächlich keine Vermögenswerte und Aktivitäten in
TVI und Hotradio mehr gab. Die TMG gab zu diesen Unterlagen die
erforderlichen Stellungnahmen ab. Diese bezogen sich im
Wesentlichen darauf, dass noch keine Klarheit über den Verlauf
des Umlaufvermögens in der TVI-Bilanz 2016 geschaffen
wurde.
Urteil - 7. November 2023
Im Endurteil vom 7. November 2023 ging das Gericht
schließlich davon aus, dass es im Wesentlichen um die Frage
geht, ob der Posten des Umlaufvermögens, der in der Bilanz des
TVI Ende 2017 mit einem niedrigeren Betrag als in der Bilanz 2016
ausgewiesen ist, eine unrechtmäßige
Vermögensentnahme darstellt.
Das Gericht stellte fest, dass Hotradio in der mündlichen Verhandlung vom 27. August 2023 nicht mehr oder andere Informationen vorgelegt haben, als sie bereits in einem früheren Stadium des Verfahrens vorgelegt hatten. Von ihrer Seite wurde in der mündlichen Verhandlung auch erklärt, dass sie nicht über mehr oder andere Informationen verfügten, weil Unterlagen mit Finanzdaten von TVI und Hotradio "weggeworfen" worden seien. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist dies an sich ein Umstand, der zu Lasten von Hotradio als (indirekte) Geschäftsführer von TVI geht. Die Gesamtheit der von Hotradio vorgetragenen Tatsachen und Umstände reicht nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht aus, um als hinreichend substantiiertes Bestreiten der Behauptungen von TMG gelten zu können.
TVI hatte also offenbar 2016 noch eine Forderung gegen Hotradio oder eine andere Partei in gleicher Höhe. Mangels gegenteiliger Erklärungen und ausreichender Einsicht von Hotradio in die Entwicklung dieses Bilanzpostens und des Vermögens der TVI muss davon ausgegangen werden, dass Hotradio als Geschäftsführer der TVI entweder die TVI veranlasst hat, auf einen Großteil dieser Forderung durch Verzicht oder Abtretung zu verzichten, oder die Gegenforderung von Hotradio mit Mitteln der TVI bezahlt hat. In beiden Fällen hat Hotradio Vermögenswerte entzogen. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist dies dem (indirekten) Geschäftsführer von Hotradio und TVI persönlich anzulasten.
Hierdurch wurde der TMG Schaden zugefügt, für den Hotradio als ehemalige Geschäftsführerin der TVI und der Geschäftsführer der Hotradio gesamtschuldnerisch haften. In Ermangelung von Anhaltspunkten, die auf eine andere Höhe und ein konkretes Bestreiten seitens Hotradio hindeuten, ist davon auszugehen, dass dieser Schaden der Höhe nach der Differenz zwischen der Forderung Ende 2016 und derjenigen Ende 2017 entspricht, d. h. einem Betrag von 181.051 Euro. Das Gericht spricht daher diesen Betrag als Schadenersatz zu.
Schlussfolgerung
Dieses Urteil zeigt, dass Gläubiger bei der Auflösung von
Gesellschaften nicht immer mit leeren Händen und einer
unbezahlten Forderung dastehen. Obwohl die Kriterien für die
Haftung von Geschäftsführern streng sind und ein
Geschäftsführer nicht ohne weiteres persönlich
haftbar gemacht werden kann, bestätigt dieses Urteil, dass
dieser unter bestimmten Umständen haftbar gemacht werden kann.
Eine gute Lektion für Geschäftsführer, ist die
Buchhaltung in Ordnung zu bringen und Rechenschaft über das
Fehlen von Vermögenswerten zum Zeitpunkt der Auflösung
abzulegen.
Dieser Text erschien zuvor als (niederländisches) Blog auf
Restructuring & Recovery Online (HERO), HERO, Ruud Brunninkhuis
und Ashley Snel 2023 / B-058.
https://www.online-hero.nl/art/4721/bestuurder-vanwege-onttrekking-persoonlijk-aansprakelijk
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Originally published 30 November 2023
The content of this article is intended to provide a general guide to the subject matter. Specialist advice should be sought about your specific circumstances.