Als klassisches Brückenland zwischen Ost und West könnte Österreich dank des hohen internationalen Ansehens der Justiz als effizient und unabhängig einen bevorzugten Gerichtsstandort für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten bieten. Hohe Pauschalgebühren bei hohen Streitwerten und die fehlende Möglichkeit, solche Streitigkeiten in der Verhandlungs- und Vertragssprache auszutragen, schrecken jedoch ab.

Vertragssprache Englisch

Im 21. Jahrhundert werden grenzüberschreitende Verträge meist in Englisch abgeschlossen. Dieser Trend ist nicht mehr umkehrbar. Im Gegenteil: „Worldenglisch“ als Verhandlungs- und Vertragssprache ist die Regel und nicht die Ausnahme.

Wer in Österreich klagt, muss den strittigen Vertrag und sonstige Urkunden mit deutscher Übersetzung vorlegen. Das kostet nicht nur Zeit und Geld für die Übersetzung, sondern ist auch inhaltlich und prozessual fragwürdig:

Die Auslegung des Wortlauts und die Feststellung des Parteienwillens erfolgen auf Deutsch und auf Basis deutscher Übersetzungen, auch wenn die Parteien kein Wort Deutsch miteinander gesprochen und alle Emails,

Kurznachrichten etc in Englisch verfasst haben. Wer der deutschen Sprache nicht mächtig ist, kann dem Verhandlungsverlauf, sei es im Gerichtssaal oder via Videokonferenz, nicht bzw nur mit erheblichem Übersetzungsaufwand folgen. Deutsch ist die Sprache der Verhandlung, des Beweisverfahrens, der Beweiswürdigung und des Urteils.

Kein Wunder, dass Österreich beim „Forum Shopping“ international agierender Parteien das Nachsehen hat und andere Orte für die Austragung internationaler Streitigkeiten bevorzugt werden.

Zu hohe Gerichtsgebühren

Gleichermaßen abschreckend sind die hohen Pauschalgebühren. Wer schon in erster Instanz 1,2 % des Streitwerts als Gerichtsgebühr „locker machen“ und mit zwei weiteren Instanzen rechnen muss, wird für höherwertige Streitigkeiten andere Gerichtsstandorte wählen. Dabei sind gerade diese Streitigkeiten ein echter Wirtschaftsmotor.

Vergleichsgebühr muss fallen

Schließlich stößt die Vergleichsgebühr im Ausland auf Unverständnis. Parteien sollten fürs Vergleichen eher belohnt als besteuert werden. Dazu kommt: Die Gebühr treibt viele Parteien zu Auswegen, die der Rechtssicherheit

abträglich sind. Sie sollte ersatzlos fallen.

BREXIT als Chance

Der Wettbewerb um den attraktiveren Gerichtsstandort hat längst begonnen: Zahlreiche Länder, darunter England, Deutschland, Schweiz, Niederlande und Singapur, haben bereits erkannt, dass ein attraktives Justizsystem ein starker Motor für den Wirtschaftsstandort ist. Die Auswirkungen dieses Trends sind schon jetzt spürbar. Gerade Streitigkeiten mit hohen Streitwerten und hohem Beratungsaufwand wandern in diese Länder ab.

Noch kann Österreich den Anschluss schaffen, ja vielleicht sogar „die Nase vorne“ haben. Die europäischen Entwicklungen bieten mit BREXIT eine solide Chance, die Austragung von grenzüberschreitenden, europäischen

Wirtschaftsstreitigkeiten weg von London auf den Kontinent zu verlagern. Österreich als klassisches Brückenland zwischen Ost und West könnte mit seinem hohen internationalen Ansehen der Justiz als effizient und unabhängig einen bevorzugten Gerichtsstandort für solche Handelsstreitigkeiten bieten. Auch geographisch wäre Österreich

als Disputes-Center im Herzen Europas mit exzellenter Verkehrsanbindung und erstklassiger Gastronomie der ideale Standort.

Österreich als idealer Gerichtsstandort

Mit wenigen Gesetzesänderungen könnte bei den Oberlandesgerichten eine internationale Handelsgerichtsbarkeit eingerichtet werden. Das Handelsgericht Wien, das über viele Richter:innen mit entsprechendem sprachlichen Können und Interesse verfügt, wäre prädestiniert, eine Führungsrolle in diesem Wettbewerb einzunehmen. Die Möglichkeit, in Englisch zu verhandeln, und das Einschleifen der Pauschalgebühr bei Streitwerten über bspw EUR 30 Millionen wären verhältnismäßig kleine Zugeständnisse, um den Rechtsstandort Österreich anziehender zu machen. Das sollte geschehen, denn Rechtssicherheit und eine attraktive internationale Handelsgerichtsbarkeit sind wichtige Voraussetzungen für die Ansiedlung von Unternehmen (insbesondere ihrer Verwaltungszentralen).

Zugleich werden die lokalen rechtsberatenden Berufe und verwandte Dienstleistungssparten gefördert.

Die österreichische Anwaltschaft tritt daher entschieden für die Internationalisierung der österreichischen Handelsgerichtsbarkeit ein.

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