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8 November 2024

Wettbewerbsrechtliche Ansprüche In Schiedsverfahren

KH
KNOETZL HAUGENEDER NETAL Rechtsanwaelte GmbH

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KNOETZL is Austria’s first large-scale legal powerhouse providing the highest quality of advocacy in dispute resolution and corporate crisis. The firm’s specialists litigate in Austrian and regional courts, mediate and arbitrate across the CEE region and globally.
Das Wettbewerbsrecht ist ein Grundpfeiler des Unionsrechts und Teil des europäischen und innerstaatlichen Ordre public. Neben dem Public Enforcement durch die Wettbewerbsbehörden wird das Wett­bewerbsrecht.
Austria Litigation, Mediation & Arbitration

Das Wettbewerbsrecht ist ein Grundpfeiler des Unionsrechts und Teil des europäischen und innerstaatlichen Ordre public. Neben dem Public Enforcement durch die Wettbewerbsbehörden wird das Wett­bewerbsrecht auch im Weg des Private Enforcement vor ­Gerichten oder Schiedsgerichten zur Durchsetzung gebracht. Die Verfolgung von wettbewerbsrechtlichen ­Ansprüchen in Schiedsverfahren, insbesondere in Verfahren im Energiesektor, hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Schiedsverfahren bieten Unternehmern die Chance, in einem effizienten und vergleichsweise schnellen Verfahren Kompensation für Schäden zu erlangen, die sie aufgrund eines Verstoßes gegen Wettbewerbsrecht erleiden. Zu beachten sind allerdings die Besonderheiten, die sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen der privatautonomen Natur des Schiedsverfahrens und dem Ordre-public-Charakter des Wettbewerbsrechts ergeben.

Anspruchsgrundlagen

Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bestimmt, dass alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen können und eine Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, verboten sind (Kartellverbot). Artikel 102 AEUV verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, wenn dies dazu führen kann, dass der Handel zwischen Mitgliedstaaten ­beeinträchtigt wird (Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung). Entsprechende Verbote bestehen auch in nationalen Rechtsordnungen für Sachverhalte ohne ­Bezug zum Binnenmarkt.

Da der Zugang zur Schiedsgerichtsbarkeit in der Regel durch Schiedsklauseln in Verträgen vereinbart wird, welche Ansprüche im Zusammenhang mit dem Vertrag der Zuständigkeit ­eines Schiedsgerichts unterwerfen, beruhen wettbewerbsrechtliche Ansprüche in Schiedsverfahren in der Regel auf dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung.

Mit der EU-Richtlinie 2014/104 wurde die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen aufgrund von Verletzungen des Wettbewerbsrechts präzisiert. Wichtige Eckpfeiler der Richt­linie sind die Festschreibung des Rechts auf vollständigen Schadenersatz (Artikel 3) und des Effektivitätsgrundsatzes, wonach nationale Vorschriften und Verfahren für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen so gestaltet sein müssen, dass sie die Ausübung des Rechts auf vollständigen Schadenersatz nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Artikel 4). Die Richtlinie sieht die Vermutung vor, dass Kartelle Schaden verursachen, macht aber keine Vor­gaben zur Schadensberechnung (Artikel 17).

Typische wettbewerbsrechtliche Ansprüche aus der Schiedspraxis sind Ansprüche auf Schadenersatz und Nichtigerklärung von nachteiligen Vertragsbestimmungen, welche aufgrund des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung Gegenstand eines Vertrages wurden. Mehrere aktuelle Schiedsverfahren betreffen Schadenersatzansprüche aufgrund von missbräuchlichen Einschränkungen von Liefer- und Transportkapazität (insbesondere bei Gaslieferungen und Gasspeicherung), ­missbräuchlichen Take-or-Pay"-Vereinbarungen, welche de facto den Wettbewerb ausschalten, sowie Schadenersatzansprüche aufgrund von exzessiven Preisen bzw. der Manipulation von Preisen aufgrund des Missbrauchs von Marktmacht. Die Praxis zeigt, dass insbesondere Verträge über den Verkauf oder Transport von Gas anfällig für Wett­bewerbsverletzungen sind, weil die Lieferung über Pipelines den Abnehmern wenig Flexibilität bei der Wahl ihrer Lieferanten gibt.

Schiedsfähigkeit

Wettbewerbsrecht ist öffentliches Recht und Teil des europäischen Ordre public. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass private Ansprüche, welche auf der Verletzung von Wettbewerbsrecht beruhen, schiedsfähig sind. Der EuGH hat schon 1999 in der Leitentscheidung Eco Swiss v Benetton (siehe hier) klargestellt, dass wettbewerbsrechtliche Ansprüche schiedsfähig sind, die Missachtung von EU-Wettbewerbsrecht durch das Schiedsgericht allerdings von den nationalen Gerichten im Rahmen von Aufhebungsverfahren wahrzunehmen ist. Die Situation ist grundsätzlich vergleichbar mit anderen Bereichen des Ordre public, wie z.B. dem Verbot von Korruption, wo Schieds­gerichte auch bei Fragen, die den Ordre public betreffen, ­zuständig sind, die einschlägigen zwingenden Rechtsnormen aber (richtig) anwenden müssen. Die Missachtung des Ordre public kann in Aufhebungsverfahren geltend gemacht werden.

Umfang der gerichtlichen Überprüfung

Der Knackpunkt für viele Verfahren mit Bezug zum Wett­bewerbsrecht ist der Umfang der nachprüfenden gericht­lichen Kontrolle in Aufhebungsverfahren. Der Bundes­gerichtshof (BGH) hat am 27.09.2022 (vgl. BGH, KZB 75/21) ent­schieden, dass ein Schiedsspruch im Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts einer vollständigen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterliegt. Der Entscheidung lag zugrunde, dass ein Schiedsgericht zu einer anderen kartellrechtlichen Beurteilung kam als das zuvor zum gleichen Sachverhalt angerufene Bundeskartellamt, welches ein Bußgeld verhängt hatte. Der BGH begründete die uneingeschränkte Kontrolle" von Schiedssprüchen im Bereich des Kartellrechts insbesondere auch damit, dass kartellrechtliche Entscheidungen oft Einzelfallentscheidungen seien und die Prüfung der schiedsgerichtlichen Entscheidung daher ­umfassend sein müsse.

Der BGH führt damit im Wettbewerbsrecht eine – im Schiedsverfahren eigentlich ausgeschlossene – Révision au fond im Weg der Ordre-public-Kontrolle ein. In Fragen des Wettbewerbsrechts ist damit faktisch eine Berufung an die Gerichte möglich.

Die Frage wurde in der Vergangenheit auch anders beurteilt. Der österreichische Oberste Gerichtshof hat beispielsweise im Jahr 2015 in einem wettbewerbsrechtlichen Fall entschieden, dass auch die Prüfung, ob eine Ordre-public-Widrigkeit vorliege, nicht zu einer Gesamtüberprüfung des Schiedsspruchs in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führen ­dürfe (vgl. OGH, 18.02.2015, 2 Ob 22/14w).

Der Trend geht aber eindeutig in Richtung einer voll­umfänglichen Kontrolle von wettbewerbsrechtlichen Schiedssprüchen. In der ISU-Entscheidung hielt der Europäische Gerichtshof fest, dass es bei Schiedsverfahren mit wettbewerbsrechtlichen Fragen notwendig sei, dass eine effektive nachprüfende Kontrolle durch die Gerichte besteht, welche sicherstellt, dass das EU-Wettbewerbsrecht eingehalten wird (vgl. EuGH, 21.12.2023 C-124/21 P, International Skating Union/Kommission). Zudem muss sichergestellt sein, dass das angerufene Gericht einen Vorabentscheidungsantrag stellen kann. Damit verlangt der EuGH im Ergebnis, dass die Parteien einen Schiedsort innerhalb der EU wählen.

Es stellt sich die Frage, ob die Aufhebungsgerichte im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle von Wettbewerbsentscheidungen auch weitere Beweise erheben können. Die vollumfäng­liche" Kontrolle von Schiedssprüchen würde dies wohl miteinschließen. Allerdings bleibt zu hoffen, dass das Vertrauen in die Schiedsgerichtsbarkeit in Zukunft wieder zunimmt und sich die Rechtsprechung auch im Wettbewerbsrecht auf das Verbot der Révision au fond zurückbesinnt.

Reichweite von Schiedsklauseln

Schiedsklauseln sehen in der Regel vor, dass Ansprüche aus oder im Zusammenhang" mit dem Vertrag von der Klausel erfasst sind. Bei wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen stellt sich daher die Frage, ob diese Ansprüche noch im Zusammenhang mit dem Vertrag stehen. Der österreichische OGH judizierte dazu in einer Entscheidung aus 2020, dass der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, der funktionell mit dem Vertragsschluss verbunden ist (z.B. durch den Abschluss von benachteiligenden Bedingungen), auch von der Reichweite der Schiedsklausel umfasst ist (vgl. OGH, 29.9.2020, 18 OCg 6/20m). Dabei spielte es laut dem OGH auch keine Rolle, dass es sich um eine enge" Schiedsklausel handelte, die nur Ansprüche aus dem Vertrag" erfasste, da die Intention der Parteien, die staatliche Gerichtsbarkeit auszuschließen, eine weite Auslegung erfordere.

Der EuGH judizierte in Apple Sales (vgl. EuGH, 24.10.2018 – C 595/17, Apple Sales International) ebenfalls (allerdings im Zusammenhang mit einer Gerichtsstandsklausel), dass Ansprüche aus dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, welche sich in den vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien manifestiert, von einer vertraglichen Streitbeilegungsklausel erfasst sind. Ansprüche aus dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung werden ­daher sehr oft von vertraglichen Schiedsklauseln umfasst sein.

Fazit

Schiedsverfahren bieten aufgrund ihrer Schnelligkeit, Nicht-Öffentlichkeit, der umfassenden Anerkennung von Schiedssprüchen und insbesondere der Möglichkeit der Dokumentenherausgabe (Document Production) viele Vorteile für die Durchsetzung von wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen. Schiedsgerichte haben in den letzten Jahren ihre Effizienz im Wettbewerbsrecht in zahlreichen Verfahren, insbesondere im Energiesektor, bewiesen. Es ist zu hoffen, dass die Recht­sprechung von der vollumfänglichen Kontrolle der Anwendung des Wettbewerbsrechts in Aufhebungsverfahren wieder abgeht.

Originally published by Deutscher AnwaltSpiegel

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