Dr. Oliver Massmann ist zugelassener internationaler Schiedsrichter und trägt den deutschen Titel eines Richters. Seit über 25 Jahren ist er als Schiedsrichter bei führenden internationalen Schiedsgerichts- und Mediationsinstitutionen in Asien und Europa tätig.
In seiner langjährigen Laufbahn hat Dr. Massmann zahlreiche internationale Unternehmen aus aller Welt rechtlich begleitet und viele namhafte internationale wie auch vietnamesische Investoren beraten, insbesondere im Rahmen von Schieds- und Mediationsverfahren. Zu seinen wichtigsten Mandaten zählen:
- Vertretung eines vietnamesischen Unternehmens in einem Schiedsverfahren in Vietnam im Zusammenhang mit einem Aktienkaufvertrag.
- Rechtsvertretung eines internationalen Bauunternehmens im Schiedsverfahren gegen ein vietnamesisches Unternehmen vor einem Tribunal in Singapur im Kontext der ersten Ölraffinerie Vietnams.
- Begleitung eines regionalen Schmierstoffhändlers bei der Streitbeilegung mit einem Lieferanten im Rahmen von Mediation und Schiedsgerichtsbarkeit.
- Rechtsberatung bei Fragen im Zusammenhang mit einem U-Bahn-Projekt in Vietnam.
- Vertretung eines ausländischen Mandanten in einem Schiedsverfahren in Singapur.
- Unterstützung eines deutschen Unternehmens bei rechtlichen Fragen betreffend einen Vertrag über die Gründung von Bohrpfählen für ein vietnamesisches Zementwerk.
- Vertretung eines Anbieters im Bereich Eisenbahndienstleistungen in einem Streit über die Auszahlung eines Darlehens.
- Beratung eines führenden japanischen Automobilunternehmens zu Fragen im Zusammenhang mit Händlerverträgen.
- Unterstützung eines japanischen Investors bei einem Streit mit einem vietnamesischen Partner im Zusammenhang mit der Entwicklung eines internationalen Hafens.
- Beratung eines malaysischen Unternehmens in Bezug auf ein mögliches Rechtsproblem mit einem vietnamesischen Vertragspartner.
- Unterstützung eines indischen Unternehmens beim Rechtsstreit mit einem vietnamesischen Unternehmen.
- Rechtsberatung eines niederländischen Unternehmens im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung mit einem vietnamesischen Geschäftspartner.
- Beratung eines führenden vietnamesischen Meeresfrüchteexporteurs in einem Streit mit einer bedeutenden japanischen Handelsgesellschaft.
- Unterstützung einer renommierten europäischen Bank bei der Prüfung eines potenziellen Engagements in einem Rechtsstreit zwischen einem europäischen Bauunternehmen und einem vietnamesischen Vertragspartner.
- Beratung eines polnischen Unternehmens bei Aufträgen mit vietnamesischen Partnern.
1. Warum internationale Schiedsgerichtsbarkeit eine sinnvolle Option ist
Diese Zusammenfassung soll ausländischen Unternehmen darlegen, warum sie in Verträgen mit vietnamesischen Partnern nicht auf eine wirksame Streitbeilegungsklausel verzichten sollten. Außerdem werden praxistaugliche Alternativen zum nationalen vietnamesischen Gerichtssystem aufgezeigt.
- Schwächen des vietnamesischen Justizsystems
Während in Nordamerika und Europa die Vertragsdurchsetzung meist als gesichert gilt, stellen sich bei Verträgen mit vietnamesischen Partnern wesentliche Fragen: Welches Gericht soll im Streitfall entscheiden? In welcher Sprache? Nach welchem Recht?Fehlt eine ausdrückliche Schiedsklausel, ist regelmäßig ein vietnamesisches Gericht zuständig. Dieses birgt jedoch aus Sicht ausländischer Investoren erhebliche Unsicherheiten: Laut Transparency International besteht weiterhin ein erhebliches Risiko korrupter Entscheidungen – fast 20 % der befragten Vietnamesen gaben an, dass Richter in Korruption verwickelt seien (Global Corruption Barometer 2017). Auch der Vietnam Provincial Competitiveness Index (USAID, 2021) bestätigt, dass viele Unternehmen staatliche Gerichte meiden.
Darüber hinaus bestehen strukturelle Probleme: Viele Richter verfügen nicht über eine fundierte juristische Ausbildung, sondern verdanken ihre Position politischen Loyalitäten oder persönlichen Netzwerken. Kurze Amtszeiten und niedrige Gehälter fördern die Abhängigkeit der Justiz von Parteiinteressen. Die Gewaltenteilung ist de facto ausgesetzt – der Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ wird in Vietnam eher im Sinne von „Regelung durch den Staat“, also durch die kommunistische (Ein)Partei, verstanden. Dies erschwert eine unabhängige Justiz erheblich.
Zudem gilt: Schiedsverfahren bieten – wie in anderen Ländern mit funktionierender Justiz – den Vorteil, vertraulich und unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt zu werden. Gerade bei sensiblen wirtschaftlichen Auseinandersetzungen ist dies ein entscheidendes Kriterium. - Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit
Schiedsverfahren ermöglichen eine unabhängige Streitbeilegung. Die Parteien können qualifizierte Schiedsrichter mit Fachkenntnis im jeweiligen Geschäftsbereich benennen, was sowohl das Vertrauen in das Verfahren als auch die Akzeptanz des Ergebnisses erhöht. Internationale Schiedsinstitutionen bieten zudem fachliche Standards, transparente Abläufe und ein hohes Maß an Kompetenz.
2. Auswahl des passenden Schiedsgerichts
Die Wahl der Schiedsinstitution ist für die Wirksamkeit einer
Streitbeilegungsklausel entscheidend. Zur Verfügung stehen
beispielsweise:
- das Vietnam International Arbitration Centre (VIAC),
- oder internationale Institutionen wie das Singapore International Arbitration Centre (SIAC).
Welche Institution geeignet ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab:
(1) Projektvolumen
Bei größeren Investitionsprojekten (ab ca. 5 Mio. USD)
empfiehlt sich in der Regel ein internationales Schiedsgericht wie
das SIAC. In solchen Fällen überwiegt der Wunsch nach
unabhängiger Expertise gegenüber dem höheren
Kostenaufwand.
(2) Ort der Vermögenswerte – Durchsetzbarkeit von
Schiedssprüchen
Sollen Urteile in Vietnam vollstreckt werden, ist zu beachten: Zwar
ist Vietnam Vertragsstaat des New Yorker Übereinkommens, das
die Anerkennung ausländischer Schiedssprüche regelt. In
der Praxis kommt es aber häufig zu Verzögerungen –
etwa durch zusätzliche Prüfungen durch das
Justizministerium und gerichtliche Nachverfahren. Vietnamesische
Gerichte lehnen ausländische Schiedssprüche nicht selten
ab, wenn sie gegen nationale Vorschriften oder die öffentliche
Ordnung verstoßen (Art. V NYC). Die Abbruchrate bei
inländischen Schiedssprüchen beträgt mehr als
50 %.
Beispiel: In einem bekannten Fall wurde ein Schiedsspruch
abgelehnt, weil eine formale Baugenehmigung fehlte (Tyco Services
Singapore Pte Ltd gegen Leighton Contractors Vietnam).
(3) Verfahrenskosten
Die Kosten eines Schiedsverfahrens variieren stark: Bei einem
Streitwert von 4 Mio. USD belaufen sich die Gebühren beim VIAC
auf etwa 62.000 USD (ein Schiedsrichter), beim SIAC dagegen auf
rund 117.000 USD. Hinzu kommen bei internationalen Verfahren oft
Reise-, Übersetzungs- und Beratungskosten. Gerade für
kleinere Unternehmen kann dieser Kostenfaktor ausschlaggebend sein
–dies verleitet sie eher dazu ungünstige Vergleiche
einzugehen.
(4) Komplexität des Vertragsgegenstands
Zwar verfügen vietnamesische Schiedsgerichte wie das VIAC
über juristische Kompetenz, jedoch (noch) nicht über eine
vergleichbare internationale Spezialisierung. Dies liegt vor allem
an der geringeren Vergütung vietnamesischer Schiedsrichter.
Bei besonders branchenspezifischen Streitigkeiten ist ein
spezialisiertes ausländisches Tribunal oft die bessere
Wahl.
(5) Staatliche oder staatsnahe Vertragspartner
Sind staatliche oder indirekt staatlich kontrollierte Unternehmen
Vertragspartei, sollte eine ausländische Schiedsklausel
vereinbart werden. Diese schützt vor möglicher
staatlicher Einflussnahme auf das Verfahren. Zwar bestehen
weiterhin Vollstreckungsrisiken in Vietnam – ein
günstiger Schiedsspruch verbessert jedoch die
Verhandlungsposition ausschlaggebend.
(6) Beachte Sonderfall: Schutz geistigen Eigentums
Geht es um geistige Eigentumsrechte, sollte die Schiedsklausel
durch eine Öffnungsklausel ergänzt werden, die
behördliche Maßnahmen – etwa durch das
vietnamesische Market Management Bureau – weiterhin
zulässt. Zwar können auch Schiedsgerichte einstweilige
Maßnahmen anordnen, in der Praxis ist jedoch ein
behördliches Einschreiten oft effektiver.
Gerichtsstandswahl
Entscheidungen über die
Zuständigkeit/Gerichtsstandswahl
Vietnamese Zuständigkeit Onshore Verfahren beim
internationalen Schiedsgerichtszentrum Vietnam (VIAC) Offshore
Schiedsverfahren
Generell abgeraten Projekt unter US$5M Projekt > US$5M
Sonderfälle: Geistiges Eigentum – dann kann eine
Öffnungsklausel i.B. gezogen werden, die in eine
Streitbeilegungsklausel umgewandelt wird (einstweilige
Maßnahmen/Zwangsmaßnahmen durch Behörden)
Pfändbares Vermögen des Vertr.partners befinden sich in
Vietnam Pfändbares Vermögen des Vertr.partners im
Ausland
Weniger komplexe Sachverhalte Mehr komplexe jur.
Fragen/Sachverhalte
Vertrag betrifft v.a. allg. Rechtsgebiete (KaufR usw)
Rechtsgebiete, die nur von erfahrenen spezialisierten Juristen
behandelt werden können
Kein (verstecktes) Staatsunternehmen Vertragspartner ist
Staatsunternehmen
Finanzstärke geringer, Kostendruck größer
Kostendruck geringwertig, da größere
Finanzstärke
Streitbeilegungsklausel nicht notwendig Streitbeilegungsklausel (+)
Streitbeilegungsklausel (+)
3. Umsetzung
(Schiedsvereinbarungen nach vietnamesischem Recht)
Nach vietnamesischem Recht sind Schiedsvereinbarungen in
Handelsverträgen ausdrücklich zulässig. Grundlage
hierfür ist das Gesetz Nr. 54/2010/QH12 über die
Handelsschiedsgerichtsbarkeit (Law on Commercial Arbitration
– „LCA“). Eine wirksam vereinbarte Schiedsklausel
bewirkt, dass staatliche Gerichte dann nicht mehr zuständig
sind; stattdessen entscheidet das vertraglich festgelegte
Schiedsgericht. Das LCA orientiert sich inhaltlich am
UNCITRAL-Modellgesetz und ist damit auf internationale Standards
angepasst. Die vietnamesische Gesetzgebung gilt insgesamt
,,schiedsfreundlich‘‘
Wenn feststeht, ob und welches Schiedsgericht für
mögliche Streitigkeiten zuständig sein soll, sollten
insbesondere folgende Aspekte geregelt werden:
- Anwendbares Recht: Bei grenzüberschreitenden Verträgen kann das materielle Recht grundsätzlich frei gewählt werden (Art. 14 Abs. 2 LCA). Die Entscheidung über das anwendbare Recht sollte bei der Auswahl der Schiedsrichter berücksichtigt werden, damit diese mit dem jeweiligen Rechtssystem vertraut sind.
- Verfahrenssprache: Gemäß Art. 10 Abs. 2 LCA kann die Sprache des Schiedsverfahrens vertraglich frei festgelegt werden.
- Zahl der Schiedsrichter: Die Bestellung mehrerer Schiedsrichter ermöglicht eine kollegiale Entscheidungsfindung, was zur Ausgewogenheit beitragen kann. Allerdings ist zu beachten, dass dadurch auch die Verfahrenskosten steigen
- Bestellung eines bestimmten Schiedsrichters: In besonders komplexen oder fachlich anspruchsvollen Fällen kann es sinnvoll sein, bereits im Vorfeld einen geeigneten Schiedsrichter zu suchen
Eine Schiedsvereinbarung ist wirksam, wenn sie die in den Artikeln 16, 18 und 19 LCA genannten Voraussetzungen erfüllt – insbesondere muss sie schriftlich erfolgen.
Streitbeilegung im Rahmen internationaler
Investitionsschutzabkommen
Im Rahmen des Investitionsschutzabkommens zwischen der
Europäischen Union und Vietnam (EVIPA) sowie der
„Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific
Partnership“ (CPTPP) besteht die Möglichkeit,
investitionsbezogene Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten
einem besonderen Streitbeilegungsmechanismus zu unterwerfen.
Bei Konflikten, etwa im Zusammenhang mit Enteignungen ohne
Entschädigung oder diskriminierender Behandlung, kann ein
Investor die Regierung des jeweils anderen Vertragsstaates vor
einem Investitionsgerichtshof verklagen. Ist eine Partei mit der
Entscheidung nicht einverstanden, steht ihr ein Rechtsmittel zum
Berufungsgericht offen. Dieses Verfahren unterscheidet sich zwar
von klassischen Schiedsverfahren, ähnelt jedoch in seiner
Struktur dem zweistufigen Streitbeilegungssystem der
Welthandelsorganisation (WTO).
Ein Vorteil dieses Mechanismus liegt in der möglichen Zeit-
und Kostenersparnis. Der erlassene Schiedsspruch ist bindend und
unmittelbar vollstreckbar, ohne dass er durch lokale Gerichte
bestätigt werden muss. Vietnam hat sich verpflichtet, das
System innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten des EVIPA
vollständig umzusetzen. Bis Februar 2023 hatten jedoch erst 11
der 27 EU-Mitgliedstaaten das Abkommen ratifiziert – es
bleibt also abzuwarten, wann es tatsächlich in Kraft tritt und
die Umsetzungspflichten für Vietnam beginnen.
Auch das CPTPP sieht einen vergleichbaren
Streitbeilegungsmechanismus vor. Anders als im EVIPA gibt es dort
jedoch keine Übergangsfrist – die Schiedssprüche
wären sofort gemäß dem New Yorker
Übereinkommen vollstreckbar. Es ist zu erwarten, dass Vietnam
seine nationalen Vorschriften zur Schiedsgerichtsbarkeit in
absehbarer Zeit an die im EVIPA vorgesehenen Standards anpassen
wird. Investoren, die sich auf das CPTPP stützen, könnten
ebenfalls von diesen gesetzlichen Änderungen
profitieren.
Sowohl im Rahmen des EVIPA als auch des CPTPP kann die Einbeziehung
eines Mechanismus zur Investor-Staat-Streitbeilegung (ISDS) dazu
beitragen, die Durchsetzbarkeit und Investitionssicherheit von
Verträgen erheblich zu verbessern – vorausgesetzt, die
Klauseln sind inhaltlich sorgfältig gestaltet.
Schlussfolgerung:
Der Abschluss von Streitbeilegungsklauseln in vietnamesischen
Verträgen ist grundsätzlich zu empfehlen. Die Auswahl des
geeigneten Streitbeilegungsforums ist jedoch eine komplexe
Entscheidung, die sorgfältig vorbereitet werden sollte –
insbesondere im Hinblick auf Rechtswahl, Kosten, Sprache,
Vollstreckbarkeit und Verfahrenssicherheit.
Investoren müssen nicht abwarten, bis das EVIPA in Kraft tritt oder nationale Schiedsgesetze geändert werden. ISDS-Klauseln können schon jetzt in Verträge aufgenommen werden, um ein hohes Maß an Rechtssicherheit und Investitionsschutz zu gewährleisten. Gerne unterstützen wir Sie bei der Gestaltung und Aufnahme entsprechender Klauseln in Ihre Verträge.
Disclaimer: This Alert has been prepared and published for informational purposes only and is not offered, nor should be construed, as legal advice. For more information, please see the firm's full disclaimer.