In einem soeben ergangenen Leiturteil des Bundesgerichts zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (2C_698/2021) hat sich das Gericht umfassend zu den Tatbeständen des Erzwingens unangemessener Preise und zur Kosten-Preis-Schere (KPS) geäussert. Das Urteil kommt zum Schluss, dass im vorliegenden Fall Swisscom nicht missbräuchlich gehandelt hatte und hob deshalb die Sanktion gänzlich auf. Das Bundesgericht setzt dabei auch ein deutliches Zeichen gegen den vom Bundesverwaltungsgericht gebilligten, zunehmenden Interventionismus der Wettbewerbskommission (WEKO).
Sachverhalt
2015 kam die WEKO zum Schluss, der grösste Telekomanbieter der Schweiz, die Swisscom, hätte bei der Errichtung und dem Betrieb eines "Wide Area Network" (WAN) im Rahmen einer Ausschreibung der Schweizerischen Post ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht. Die Post und Sunrise als Konkurrentin von Swisscom, welche deren Vorleistungsprodukte bezog, hätten nämlich unangemessen hohe Preise bezahlen müssen. Gegenüber Sunrise habe Swisscom zudem eine sogenannte Kosten-Preis-Schere eingesetzt. Die WEKO verhängte deshalb eine Sanktion und Verfahrenskosten von insgesamt mehr als CHF 8 Millionen.
Die Swisscom zog den Entscheid an das Bundesverwaltungsgericht weiter, welches den Entscheid der WEKO weitgehend guthiess. Das Bundesgericht hob nun dieses Urteil und damit auch die WEKO Verfügung vollumfänglich auf. Die Erwägungen enthalten wegweisende Ausführungen zu Marktmissbrauchsfällen.
Das Kartellgesetz schütz keine inneffizienten Wettbewerber
Das Urteil des Bundesgerichts stellt an verschiedenen Stellen klar, dass das Schweizer Kartellgesetz (KG) primär dazu dient, volkswirtschaftliche und sozial schädliche Auswirkungen auf den Wettbewerb zu verhindern und damit den Wettbewerb als Institution zu schützen, indem es wirksamen Wettbewerb gewährleistet. Es ist hingegen "nicht Aufgabe des KG, Unternehmen, welche sich primär aufgrund des eigenen Verhaltes auf dem Markt nicht durchsetzen können, mit den Mitteln des KG zu schützen".
Vor diesem Hintergrund setzt das Bundesgericht auf den "as efficient competitortest" und stellt klar, dass im Rahmen der Missbrauchskontrolle gleich effiziente Wettbewerber zu schützten sind, "wogegen es nicht zu beanstanden ist, wenn eine weniger effiziente Konkurrentin vom Markt verdrängt wird". Nach diesem Test kommt die Konkurrentin auch nicht umhin, die für die Effizienz notwendigen Investitionen vorzunehmen, ansonsten, so das Bundesgericht, "würde einer [Konkurrentin] ermöglicht, auf eigene Investitionen zu verzichten und dem marktbeherrschenden Unternehmen (ständig) das Erzwingen unangemessener Preise vorzuwerfen."
Tatbestand der unangemessenen Preise nur Notbehelf
Unter Verweis auf die Rechtsprechung in der Europäischen Union stellt das Bundesgericht klar, dass grundsätzliche Bedenken gegenüber dem Tatbestand der unangemessenen Preise (Art. 7 Abs. 2 lit. c KG) bestehen und dieser deshalb "nur als Notbehelf bzw. subsidiär zur Anwendung kommen" sollte. Zweck des KG sei gerade nicht, Preisregulierung zu betreiben, sondern vor Wettbewerbsbeeinträchtigungen zu schützen. Entsprechend hoch setzt das Gericht denn auch die Schwellen für das Erwzingen unangemessener Preise an.
"Erzwingen" liegt danach nur vor, wenn die Marktgegenseite dem ökonomischen Druck, welcher vom marktbeherrschenden Unternehmen durch eine "bestimmte Verhaltensweise" erzeugt wird, "nichts entgegenzusetzen hat bzw. diesem nicht ausweichen kann". Dies sei nur der Fall, wenn der Preis vom marktbeherrschenden Unternehmen einseitig festgesetzt werde, weshalb ein Preis, der das Ergebnis von Verhandlungen ist, grundsätzlich nicht erzwungen sei.
"Unangemessenheit" ist nicht mit hohen Margen gleichzusetzen. Sehr hohe Preise oder Margen können überlegene oder innovative Leistungen widerspiegeln. Das Vorgehen gegen solche Preise "würde dem in einer Marktwirtschaft erwünschten Anreiz, zu investieren und innovative Produkte zu entwickeln, widersprechen. " Deshalb hat das Kartellgesetz nur bei "einem krassen Missverhältnis zwischen eigenen Kosten und Verkaufspreis einzuschreiten".
Methodisch verweist das Bundesgericht zur Beurteilung der Unangemessenheit eines Preises auf die bekannten Tests "Als-ob-Methode", "Vergleichsmarktkonzept" und "Kostenmethode". Im vorliegenden Fall kam es dabei zum Schluss, dass der von der Vorinstanz vorgenommene Vergleich zwischen Vorleistungspreis der Swisscom und Zuschlagspreis untauglich sei und keinem dieser Tests entspräche.
Sektorregulierung relevant
Im Hinblick auf Sektorregulierungen, vorliegend das Fernmeldegesetz (FMG), stellt das Bundesgericht klar, dass diese bei der Anwendung des KG zu beachten sind und beide zusammen ein "geschlossenes Gesamtsystem" darstellen. Das Bundesgericht hält fest, dass es die WEKO vorliegend versäumt hatte, die Absicht des Gesetzgebers, Investitionen im Fernmeldewesen zu fördern, zu berücksichtigen. Dass Sunrise diese Investitionen nicht vorgenommen hatte und deshalb auf (nicht regulierte) Vorleistungsprodukte der Swisscom zurückgreifen musste, sei nicht der Swisscom anzulasten. Vielmehr hätte die Vorinstanz solche Investitionen als Ausweichmöglichkeit erkennen müssen, womit ein "Erzwingen" im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. c KG ausgeschlossen ist.
Kosten-Preis-Schere benötigt Verdrängungsstrategie und schützt nur gleich effiziente Wettbewerber
Das Bundesgericht stellt zunächst klar, dass eine KPS überhaupt nur dann möglich ist, wenn drei strukturellen Voraussetzungen vorliegen: (i) vertikale Integration, (ii) Abhängigkeit von den Vorleistungen des marktbeherrschenden Unternehmens und (iii) eine marktbeherrschende Stellung auf dem vorgelagerten sowie eine "gewisse" dominante Stellung auf dem nachgelagerten Markt.
Zusätzlich ist von der WEKO ein unzulässiges Verhalten nachzuweisen. Dieses liegt gemäss dem Bundesgericht in einer "verfolgten Strategie, mit welcher ein vertikal integriertes marktbeherrschendes Unternehmen die möglichen Gewinnmargen seiner Mitbewerber im nachgelagerten Markt [...] so beschneidet oder ganz beseitigt, dass diese nicht mehr konkurrenzfähig sind, d.h. letztlich aus dem Markt ausscheiden müssen und dadurch der Wettbewerb im nachgelagerten Markt beeinträchtigt wird. " Fehlt es an einer solchen Verdrängungsstrategie, scheidet eine unzulässige KPS mangels Missbrauch von vornherein aus. Dass eine solche Verdrängungsstrategie zumindest bei gewissen Missbrauchstatbeständen nun vorausgesetzt wird, ist nach diesem Urteil naheliegend.
Selbst wenn eine solche Strategie (anders als im vorliegenden Fall) nachgewiesen worden wäre, hätte die Vorinstanz immer noch den "as efficient competitiortest" (Eigenwirtschaftlichkeitstest) durchführen und auf die Kosten des marktbeherrschenden Unternehmens abstellen müssen. Ein sogenannter Fremdwirtschaftlichkeitstest, bei welchem die Kosten der Konkurrentin relevant sind, gilt nur, wenn sich die Kosten des marktbeherrschenden Unternehmens ausnahmsweise nicht ermitteln lassen.
Kommentar
Das Urteil des Bundesgerichts überzeugt und setzt ein wichtiges Zeichen gegen den vom Bundesverwaltungsgericht in den letzten Jahren vermehrt abgesegneten Interventionismus der WEKO. Das Gericht betont zu Recht, dass das KG gerade nicht dem Individualschutz einzelner Wettbewerber oder der Regulierung von Preisen dient, sondern vielmehr dem Schutz des wirksamen Wettbewerbs.
Es bleibt abzuwarten, wie die WEKO und das Bundesverwaltungsgericht diesen Leitentscheid in ihren Verfügungen und Urteilen umsetzen werden. Die rein formbasierte Analyse von Marktmissbrauchsfällen, wie sie vor allem das Bundesverwaltungsgericht konstant vornimmt, dürfte jedoch stark in Frage gestellt werden. Swisscom wurde in diesem Verfahren von Lenz & Staehelin vertreten.
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