Nach der grundlegenden Anpassung der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung in der Europäischen Union schlägt nun auch die Schweizer Wettbewerbskommission eine Anpassung ihrer Vertikalbekanntmachung und der dazugehörigen Erläuterungen vor. Die vorgeschlagenen Änderungen orientieren sich zwar an den EU-Vertriebsregeln, weichen aber bei zentralen Fragen weiterhin im Sinne eines "Swiss Finish" davon ab.

Ausgangslage

Seit dem 1. Juni 2022 gilt in der EU die neue Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung ("Vertikal-GVO"). In der Schweiz beabsichtigt nun auch die Wettbewerbskommission ("WEKO"), ihre Vertikalbekanntmachung an die neuesten Entwicklungen anzupassen. Zu diesem Zweck hat die WEKO diese Woche einen Entwurf für eine neue Vertikalbekanntmachung und dazugehörige Erläuterungen ("Entwurf") veröffentlicht. Interessierte Parteien können bis zum 2. September 2022 dazu Stellung nehmen.

Die wesentlichen Änderungen zur aktuell geltenden Vertikalbekanntmachung können wie folgt zusammengefasst werden:

Mehr Möglichkeiten beim Allein- und Selektivvertrieb

In Anlehnung an die Vertikal-GVO erhalten Unternehmen in Zukunft mehr Möglichkeiten, ihre Vertriebssysteme zu strukturieren.

So ist neu ein geteilter Alleinvertrieb möglich, bei welchem ein Gebiet oder Kunden an bis zu fünf Abnehmer exklusiv zugewiesen und diese vor Aktivverkäufen durch andere Händler in dieses Gebiet oder an diese Kundengruppe geschützt werden.

Zudem sollen Aktivverkaufsverbote innerhalb eines Vertriebssystems neu auch auf tiefere Vertriebsebenen weitergereicht, d.h. den Kunden des Abnehmers auferlegt, werden können.

Besonders gewichtig ist schliesslich, dass neu der parallele Betrieb eines Alleinvertriebssystems in bestimmten Gebieten und eines selektiven Vertriebssystems in anderen Gebieten zulässig sein soll, wobei das selektive Vertriebssystem durch ein Passivverkaufsverbot vor Verkäufen durch die Alleinvertriebshändler aus anderen Gebieten geschützt werden kann.

Anpassungen beim dualen Vertriebs

Auch im Hinblick auf Konstellationen, in denen ein Unternehmen seine Produkte einerseits selbst über sein eigenes Vertriebsnetz und andererseits über unabhängige Vertriebshändler vertreibt ("dualer Vertrieb") orientiert sich der Entwurf an der Vertikal-GVO. Insbesondere soll analog zur EU der Informationsaustausch zwischen den dualen Vertriebspartnern neu nur noch dann unter die Vertikalbekanntmachung fallen, wenn der Informationsaustausch direkt die Umsetzung der vertikalen Wettbewerbsabrede betrifft und zur Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs der Vertragswaren oder -dienstleistungen erforderlich ist. Anders als die Vertikalleitlinien der EU-Kommission enthält der Entwurf in Bezug auf die Frage, was ausgetauscht werden kann und was nicht, keine weiteren Präzisierungen.

Änderungen im Onlinebereich

Im Onlinebereich übernimmt der Entwurf die EURegelung in Bezug auf Online-Vermittlungsdienste und sieht diesbezüglich vor, dass vertikale Wettbewerbsabreden in diesem Bereich nicht von der Privilegierung des dualen Vertriebs profitieren, wenn der Anbieter der Online-Vermittlungsdienste ein Wettbewerber auf dem relevanten Markt für den Verkauf der vermittelten Waren oder Dienstleistungen ist.

Zudem erklärt der Entwurf analog zur VertikalGVO gewisse Beschränkungen von OnlineVerkäufen oder Online-Werbung, die es unter anderem dem Abnehmer de facto verbieten, das Internet für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen zu nutzen, als qualitativ schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkung.

Als grundsätzlich unproblematisch gelten demgegenüber beispielsweise Beschränkungen in Bezug auf die Art und Weise, wie die Vertragswaren oder -dienstleistungen online verkauft werden sollen sowie Beschränkungen in Bezug auf die Nutzung bestimmter Online-Verkaufskanäle (z. B. von Online-Marktplätzen).

Schliesslich werden neu auch sogenannte Doppelpreissysteme (Anforderung, dass der Abnehmer für online verkaufte Produkte einen anderen Grosshandelspreis zahlt als für offline verkaufte Produkte) grundsätzlich als unproblematisch erachtet, sofern der Unterschied in einem angemessenen Verhältnis zu den Unterschieden bei den Investitionen und Kosten in den jeweiligen Kanälen steht.

Erheblichkeit weiter Paritätsklauseln

Neu soll die Vertikalbekanntmachung in Übereinstimmung mit der bisherigen Praxis ausdrücklich festhalten, dass sogenannte weite Paritätsverpflichtungen, welche den Abnehmer von OnlineVermittlungsdiensten (wie z.B. Hotelbuchungsplattformen) veranlassen, seine Produkte Endverbrauchern nicht auf konkurrierenden OnlineVermittlungsdiensten zu günstigeren Bedingungen anzubieten, grundsätzlich problematisch sind. Sogenannte enge Paritätsverpflichtungen, die eine Preisunterbietung nur auf den direkten Kanälen des Abnehmers (also z.B. des Hotels selbst) verbieten, sollen demgegenüber weiterhin zulässig sein.

Keine Erleichterungen bei Wettbewerbsverboten?

Die EU-Kommission hat in ihren Vertikalleitlinien klargestellt, dass vertikale Wettbewerbsverbote, die für einen Zeitraum von fünf Jahren abgeschlossen werden, sich jedoch stillschweigend über diesen Zeitraum hinaus verlängern, grundsätzlich unproblematisch sind, sofern angemessene Kündigungs- bzw. Neuverhandlungsmöglichkeiten bestehen. Auf diese in der Vertriebspraxis der EU sehr begrüsste Neuerung hat die WEKO in ihrem Entwurf bislang verzichtet.

Verschärfung bei Preisbindung zweiter Hand

Während die EU-Kommission in ihren Leitlinien an verschiedenen Stellen Hinweise auf Umstände gibt, in welchen eine Preisbindung zweiter Hand zulässig sein kann, hält die WEKO an der unlängst verschäften Praxis fest.

So können etwa Preisempfehlungen nicht nur dann kartellrechtlich problematisch sein, wenn sie sich durch Ausübung von Druck oder der Gewährung von Anreizen durch eines der beteiligten Unternehmen tatsächlich wie Festoder Mindestverkaufspreise auswirken. Die Erläuterungen nennen Druck oder Gewährung von Anreizen nun nur noch als ein mögliches Kriterium zur Bejahung einer vertikalen Preisabrede. Die dazu notwendige Abstimmung könne sich jedoch etwa auch durch eine besonders intensive Kommunikation der Preisempfelungen ergeben. Entsprechend wird in der Schweiz weiterin eine weitaus striktere Praxis in Bezug auf Preisbindungen zweiter Hand gelten. 

Zusammenfassung und Ausblick

Während sich der Entwurf in weiten Teilen an der Revision in der EU orientiert, weicht er bei zentralen Fragen teilweise bewusst von dieser ab. Der bisher bestehende "Swiss-Finish" bliebe damit weiter bestehen. Dies bedeutet, dass in der kartellrechtlichen Vertriebspraxis auch in Zukunft die Verträge mit Auswirkungen auf die Schweiz gemäss den strikteren Schweizer Regeln geprüft werden müssten. Es bleibt indes abzuwarten, ob sich die geplante Regelung aufgrund des Vernehmlassungsverfahrens noch etwas mehr der EU Regelung annähern wird. 

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