In einem neuen Grundsatzurteil hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung zum zivilrechtlichen Herausgabeanspruch der Kunden betreffend Retrozessionen zusammengefasst und zentrale Fragen hinsichtlich der Verjährung dieses Anspruchs geklärt. Der vorliegende Beitrag enthält eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Punkte des Urteils und stellt diese in den Kontext weiterer für die Retrozessionsthematik relevanter Entwicklungen im Zivil-, Aufsichts- und Strafrecht.

Das Bundesgericht hat im neuen Grundsatzurteil (BGE 143 III 348) einleitend noch einmal seine bisherige Rechtsprechung zum zivilrechtlichen Herausgabeanspruch zusammengefasst und bestätigt. Danach trifft den Beauftragten gegenüber seinem Auftraggeber hinsichtlich indirekter Vorteile, wie insbesondere Rabatte, Provisionen und Retrozessionen, die ihm infolge der Auftragsausführung von Dritten zukommen, eine Rechenschafts- und Herausgabepflicht. Im beurteilten Fall war der Beauftragte Versicherungsberater, das Urteil ist jedoch auf alle Finanzdienstleister anwendbar. Begründet wird die Herausgabepflicht damit, dass der Beauftragte durch das Mandat – abgesehen vom Honorar – weder gewinnen noch verlieren soll. Er muss daher alle Vermögenswerte herausgeben, welche in einem inneren Zusammenhang zur Auftragsausführung stehen. Behalten darf er nur, was er lediglich bei Gelegenheit der Auftragsausführung von Dritten erhält. Ein solch innerer Zusammenhang ist gegeben, sobald die abstrakte Gefahr eines Interessenkonflikts besteht. Von der Rechenschafts- und Herausgabepflicht ausgenommen sind deshalb einzig materiell irrelevante Vorteile wie beispielsweise übliche Geschenke unter Geschäftspartnern.

Die Herausgabepflicht entfällt, wenn der Auftraggeber ausdrücklich auf die Herausgabe der Retrozessionen verzichtet. Ein rechtsgültiger Verzicht unterliegt strengen Voraussetzungen.

Klärung umstrittener Verjährungsfragen

Umstritten war bis anhin, ob der Herausgabeanspruch bezüglich Retrozessionen innert fünf oder zehn Jahren verjährt, und ab welchem Zeitpunkt die Verjährungsfrist läuft. Hinsichtlich der Dauer der Verjährungsfrist hat das Bundesgericht nun klargestellt, dass die allgemeine vertragsrechtliche Verjährungsfrist von zehn Jahren gilt. Obgleich dieses Resultat zu erwarten war, ist die höchstrichterliche Klärung dieser Frage praktisch bedeutsam. Ebenso relevant ist die zweite Klarstellung betreffend den Beginn der Verjährungsfrist: Das Bundesgericht hat festgehalten, dass der Herausgabeanspruch bezüglich jeder Retrozession separat verjährt und die Verjährungsfrist jeweils bei Erhalt zu laufen beginnt. Der Grund liegt darin, dass der Beauftragte unmittelbar mit Erhalt einer Retrozession rechenschafts- und herausgabepflichtig wird und der Verjährungsbeginn mit dem Entstehen dieser Pflichten zusammenfällt. Irrelevant für den Beginn der Verjährungsfrist ist somit, ob der Auftraggeber überhaupt Kenntnis von den Retrozessionszahlungen erlangt hat.

Verjährungseinrede und Rechtsmissbrauch

Die Verjährung einer Forderung auf Herausgabe von Retrozessionen ist nur dann beachtlich, wenn sich der Schuldner im Streitfall durch Erhebung der Verjährungseinrede ausdrücklich darauf beruft. Das Bundesgericht hatte im besprochenen Urteil auch zu entscheiden, ob die Geltendmachung der Verjährung rechtsmissbräuchlich ist, wenn der Beauftragte den Auftraggeber nie über den Erhalt von Retrozessionen informiert hat, so dass dieser gar keine Kenntnis von seinen Forderungen erlangt hat. Laut Bundesgericht hängt dies von den konkreten Umständen ab. Das blosse Abwarten der Verjährungsfrist bei unterlassener Rechenschaftsablage über die geflossenen Retrozessionen ist nicht rechtsmissbräuchlich. Ein Rechtsmissbrauch liegt erst dann vor, wenn der Beauftragte durch sein Verhalten eine Ursache für die verspätete Geltendmachung des Herausgabenanspruchs setzt, etwa indem er den Auftraggeber während laufender Verjährungsfrist durch aktive Verzögerungstaktik zum Zuwarten veranlasst.

Obschon das blosse Verschweigen von Retrozessionen somit zivilrechtlich nicht als rechtsmissbräuchlich gilt, könnte es möglicherweise aufsichtsrechtliche oder gar strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Aufsichtsrechtliche Entwicklungen

Im geplanten FIDLEG wird neu auf Gesetzesstufe festgehalten werden, dass alle Finanzdienstleister Retrozessionen nur noch annehmen dürfen, wenn sie entweder die Kunden vorgängig ausdrücklich darüber informiert und diese darauf verzichtet haben oder wenn sie die Entschädigungen vollumfänglich an die Kunden weitergeben. Bei einer Verletzung dieser Vorschriften sieht der gegenwärtige Gesetzesentwurf eine Busse bis zu CHF 50 000.00 sowie aufsichtsrechtliche Konsequenzen vor.

Strenger als das FIDLEG ist die per 1. Januar 2018 in Kraft tretende europäische MiFID II Richtlinie, welche die Entgegennahme von Retrozessionen bei der Vermögensverwaltung und der unabhängigen Anlageberatung vollständig verbietet und das Verbot überdies auf nichtfinanzielle Vorteile ausdehnt. Besonders heikel ist diese Verschärfung im Verhältnis zu deutschen Kunden, weil ein Verstoss gegen dieses aufsichtsrechtliche Verbot indirekt zivilrechtliche Haftungsfolgen haben kann, die weit über die Herausgabe erlangter Vorteile hinausgehen. Nach deutscher Gerichtspraxis gilt die unterlassene Aufklärung der Kunden hinsichtlich der Annahme von Retrozessionen nämlich als Vertragsverletzung, die den Kunden unter Umständen zur Rückabwicklung des Vertrags berechtigen kann. Bei fallenden Märkten kann dies im Ergebnis in einer Haftung des Beauftragten für der allgemeinen Marktentwicklung zuzuschreibende Kursverluste resultieren.

Strafrechtliche Aspekte

In der Rechtslehre wird seit Längerem auch über die strafrechtlichen Aspekte der Retrozessionsthematik diskutiert. Verschiedentlich wird dabei die Auffassung vertreten, das gänzliche Unterlassen der Rechenschaftsablage über Retrozessionen sowie eine falsche Rechenschaftsablage seien strafbar. Als Straftatbestände kommen ungetreue Geschäftsführung, Veruntreuung, Betrug oder Privatbestechung in Frage. Vereinzelt wird darüber hinaus sogar die Meinung vertreten, dass auch das blosse Zurückbehalten von Retrozessionen, über welche der Auftraggeber bereits informiert worden ist, eine strafbare Handlung darstellt. Eine richterliche Klärung dieser Fragen steht derzeit noch aus. Bei der Zürcher Justiz ist allerdings aktuell ein Strafverfahren hängig, das in dieser Hinsicht in nächster Zeit Klärung bringen dürfte.

Fazit

Das seit längerem erwartete Bundesgerichtsurteil hat praktisch wichtige Streitfragen zur Verjährung des zivilrechtlichen Herausgabeanspruchs geklärt. Die Entgegennahme von Retrozessionen birgt aber auch aufsichtsrechtliche und strafrechtliche Risiken. Diese sind mit der Verjährung eines zivilrechtlichen Herausgabeanspruchs im Einzelfall nicht automatisch erledigt. In der Tendenz wird die rechtliche Zulässigkeit von Retrozessionen und ähnlichen Vergütungsformen weiter eingeschränkt. Finanzdienstleister, die trotzdem weiterhin auf diese Vergütungsquelle bauen, müssen sich der stetig steigenden Rechtsrisiken bewusst sein und sollten die Rechtskonformität ihres Handelns regelmässig überprüfen.

Originally published November 2017

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