Das Bundesgericht hat die im ESTV-Kreisschreiben Nr. 5 vom 1. Juni 2004 definierten Voraussetzungen zur steuerneutralen Quasifusion bestätigt. Folglich bedarf es in jedem Fall einer Kapitalerhöhung bei der übernehmenden Gesellschaft, selbst wenn eine Kapitalerhöhung zur Wahrung der Rechte der Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft nicht erforderlich ist.

1. SACHVERHALT

Dem Bundesgerichtsentscheid (BGE) 2C_976/2014 vom 10. Juni 2015 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die X AG ist eine schweizerische Holdinggesellschaft mit einem Aktienkapital von CHF 300 000, eingeteilt in 300 Namenaktien zu je CHF 1000. Ihr alleiniger Aktionär und Präsident des Verwaltungsrats ist Herr A. Er hält die Aktien der X AG im Privatvermögen.

Herr A ist sodann an der Y AG, einer schweizerischen Holdinggesellschaft mit einem Aktienkapital von CHF 100 000, eingeteilt in 100 Namenaktien zu je CHF 1000, zu 50% beteiligt. Zwei weitere Personen (B und C) halten je 25% der Namenaktien der Y AG.

Im Juni 2007 verkaufte Herr A seine bisher im Privatvermögen gehaltene 50%ige Beteiligung an der Y AG zum Preis von CHF 50 000 (Nominalwert) an die X AG. Das Aktienkapital der X AG belief sich nach der Übernahme der 50%igen Beteiligung unverändert auf CHF 300 000. Die Eidg. Steuerverwaltung (ESTV) berechnete den Unternehmenswert der Y AG auf CHF 720 100 000. Der Verkauf der Y-AG-Beteiligung von Herrn A an die X AG zum Nominalwert dürfte dadurch motiviert gewesen sein, dass bei einem Verkauf über dem Nominalwert ein Transponierungstatbestand im Sinne von Art. 20a Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) bzw. Art. 7a Abs. 1 lit. b des Steuerharmonisierungsgesetzes (StHG) vorgelegen und Einkommenssteuern auf der Differenz zwischen Verkehrswert und Nominalwert ausgelöst hätte. Da Herr A die Transaktion zum Nominalwert abgewickelt hatte, gestaltete sie sich einkommenssteuerneutral.

Die ESTV erblickte in der Einbringung der 50%igen Beteiligung einen Zuschuss im Sinne von Art. 5 Abs. 2 lit. a des Stempelsteuergesetzes (StG) von Herrn A an die X AG in der Höhe der Differenz zwischen dem Kaufpreis von CHF 50 000 und dem Verkehrswert der 50%igen Beteiligung von CHF 360 050 000 und erhob darauf die Emissionsabgabe von 1% zuzüglich Zins.

Dagegen erhob die X AG erfolglos Einsprache und unterlag sowohl vor Bundesverwaltungsgericht (Urteil A-6592/2013 vom 18. September 2014) als auch vor Bundesgericht mit ihrem Begehren, der Zuschuss in der Höhe von CHF 360 050 000 im Sinne von Art. 5 Abs. 2 lit. a StG sei im Rahmen einer Umstrukturierung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. abis StG erfolgt und deshalb von der Emissionsabgabe ausgenommen.

Strittig war somit die Frage, ob der grundsätzlich der Emissionsabgabe unterliegende Zuschuss von der Ausnahmebestimmung von Art. 6 Abs. 1 lit. abis StG profitieren könne.

2. ERWÄGUNGEN DES BUNDESGERICHTS

Das Bundesgericht verweist zuerst auf die Materialien zur Ausnahmebestimmung von Art. 6 Abs. 1 lit. abis StG. Diese sei geschaffen worden, um Kapitalbeschaffungen im Zusammenhang mit Umstrukturierungen, die oftmals unter dem Druck wirtschaftlicher Notwendigkeit erfolgten, steuerlich zu entlasten.

Das Bundesgericht führt weiter aus, dass der in der genannten Gesetzesbestimmung verwendete Begriff der «fusionsähnlichen Zusammenschlüsse» auslegungsbedürftig sei. Es müsse eine wirtschaftliche Betrachtungsweise Platz greifen, und es sei für die Begriffsbestimmung von der (echten) Fusion auszugehen. Im Unterschied aber zur Fusion komme es beim fusionsähnlichen Zusammenschluss (Quasifusion) nicht zu einer rechtlichen Verschmelzung zweier oder mehrerer Gesellschaften, sondern der Zusammenschluss erfolge vielmehr durch Austausch von Beteiligungsrechten dergestalt, dass die übernehmende Gesellschaft eine Kapitalerhöhung unter Verzicht auf das Bezugsrecht ihrer Anteilsinhaber vornehme. Die Anteilsinhaber der übernommenen Gesellschaft würden somit dank der neu ausgegebenen Beteiligungsrechte zu Anteilsinhabern der übernehTOBIAS menden Gesellschaft. Wirtschaftlich unterscheide sich die Quasifusion vom reinen Kauf einer Beteiligung dadurch, dass die bisherigen Aktionäre der übernommenen Gesellschaft weiterhin indirekt an dieser beteiligt seien.

Mit Verweis auf das Kreisschreiben (KS) Nr. 5 vom 1. Juni 2004, Ziff. 4.1.7.1, stellt das Bundesgericht sodann fest, dass eine Quasifusion immer eine Kapitalerhöhung bei der übernehmenden Gesellschaft unter Ausschluss der Bezugsrechte der bisherigen Gesellschafter und einen Aktientausch bei den Gesellschaftern der übernommenen Gesellschaft bedinge. Die Kapitalerhöhung sei kein bloss formales Kriterium, sondern die Voraussetzung dafür, dass auf der Beteiligungsebene eine wirtschaftliche Verflechtung der beteiligten Unternehmen stattfinden könne.

Voraussetzung sei weiter, dass die übernehmende Gesellschaft gegenüber der übernommenen Gesellschaft eine beherrschende Stellung einnehme, was voraussetze, dass sie mindestens 50% der Stimmrechte an der übernommenen Gesellschaft halte und höchstens 50% des effektiven Werts der übernommenen Beteiligungsrechte bar ausbezahlt würden.

Das Bundesgericht schliesst mit der Erkenntnis, dass die von Herrn A an die X AG übertragene Beteiligung an der Y AG ein reines Kaufgeschäft darstelle und deshalb die Ausnahmebestimmung von Art. 6 Abs. 1 lit. abis StG nicht anwendbar sei.

3. WÜRDIGUNG DER RECHTSPRECHUNG

Das Bundesgericht verweist betreffend den Begriff der Quasifusion auf BGE 102 Ib 140 1. In jenem Entscheid wurde festgehalten, dass an die Quasifusion kein strengerer Massstab als gegenüber den eigentlichen Fusionen anzulegen sei;

indes setze aber die Annahme eines fusionsähnlichen Zusammenschlusses stets voraus, dass die Intensität der Verbindung rechtlich und tatsächlich nicht völlig integrierter Gesellschaften jener einer eigentlichen Fusion praktisch gleichkomme 2. Hinweise, wonach die Quasifusion eine Kapitalerhöhung bei der übernehmenden Gesellschaft bedinge, seien im genannten Entscheid keine zu finden, wobei im zu beurteilenden Fall die übernehmende Gesellschaft tatsächlich eine Kapitalerhöhung durchgeführt habe 3.

Weiter führt das Bundesgericht aus, dass für die Begriffsbestimmung der Quasifusion von der echten Fusion auszugehen sei. Wesensmerkmal der Fusion seien die Universalsukzession und die mitgliedschaftliche Kontinuität. Betreffend die echte Fusion müsse gemäss Art. 33 Abs. 1 des Fusionsgesetzes (FusG) die übernehmende Gesellschaft das Kapital erhöhen, soweit es zur Wahrung der Rechte der Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft erforderlich sei 4. Das Bundesgericht geht nicht weiter darauf ein, in welchen Konstellationen keine Kapitalerhöhung erforderlich ist, wie etwa bei der Absorption einer 100%igen Tochtergesellschaft oder bei einer Fusion von Schwestergesellschaften, die beide zu 100% vom selben Aktionär gehalten werden, oder aber in Fällen, in denen den einbringenden Aktionären eigene Aktien der übernehmenden Gesellschaft herausgegeben werden. Stattdessen hält das Bundesgericht fest, dass bei der Quasifusion keine rechtliche Verschmelzung erfolge, sondern ein Austausch der Beteiligungsrechte dergestalt erfolge, dass die übernehmende Gesellschaft eine Kapitalerhöhung unter Verzicht auf das Bezugsrecht ihrer Anteilsinhaber vornehme. Die Quasifusion bedinge somit immer eine Kapitalerhöhung der übernehmenden Gesellschaft unter Ausschluss der Bezugsrechte der bisherigen Gesellschafter. Das Bundesgericht verweist hierbei auf KS 5, Ziff. 4.1.7.1.

Wenn die Quasifusion wirtschaftlich einer Fusion gleichkommen soll, hätte das Bundesgericht den Schluss ziehen müssen, dass die Kapitalerhöhung bei Fusionen und Quasifusionen zwar oft anzutreffen sei, aber nicht zwingend vorgenommen werden müsse. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb im vorliegenden Fall – hätte eine Kapitalerhöhung stattgefunden – ein anderes Resultat zu erwarten gewesen ware. Hätte hingegen die X AG eine Kapitalerhöhung – auch nur um einen Rappen – beschlossen, wären sämtliche formellen Voraussetzungen gemäss KS 5, Ziff. 4.1.7.1, erfüllt gewesen, weshalb die ESTV das Vorliegen einer Quasifusion bejaht hätte. Mithin wäre der gesamte Zuschuss von CHF 360 Mio. von der Emissionsabgabe befreit gewesen, obwohl eine Kapitalerhöhung an der geforderten engen wirtschaftlichen Verflechtung zwischen X AG und der Y AG nichts geändert hätte: Auch bei einer Quasifusion wäre die X AG zu 50% an der Y AG beteiligt gewesen. Die anderen Aktionäre B und C hätten keine Aktien der X AG erhalten, weil sie auch keine Sacheinlage tätigten. Die Quasifusion ist wirtschaftlich mit der Fusion zu vergleichen. Mithin ist auf den wirtschaftlichen Gehalt und nicht auf die rechtliche Ausgestaltung abzustellen. Deshalb ist es irrelevant, ob der Zuschuss offen (durch Kapitalerhöhung) oder verdeckt erfolgt. Dies entspricht denn auch der Verwaltungspraxis, welche einen verdeckten Zuschuss im Rahmen einer Quasifusion akzeptiert.

Die einzige nachvollziehbare Begründung, weshalb im vorliegenden Fall eine Quasifusion zu Recht verneint wurde, ist denn auch nicht in der fehlenden Kapitalerhöhung bei der übernehmenden Gesellschaft zu suchen, sondern in den besonderen Kontrollverhältnissen. Im Unterschied zum Bundesgericht hat die Vorinstanz darauf hingewiesen, dass Herr A über die X AG zwar 50% an der Y AG halte, doch die X AG nicht die alleinige Kontrolle über die Y AG ausüben könne. Vielmehr sei die X AG stets darauf angewiesen, dass sie für die Durchsetzung ihrer Aktionärsrechte die Unterstützung von mindestens einem der beiden anderen Aktionäre habe. Mithin kann mit der Vorinstanz der Standpunkt vertreten werden, dass die X AG die Y AG nicht tatsächlich beherrscht. Deshalb besteht keine genügend enge wirtschaftliche, vertragliche und beteiligungsmässige Verflechtung zwischen der X AG und der Y AG, die mit fusionierten Gesellschaften vergleichbar wäre. Mit dieser Begründung konnte das Bundesverwaltungsgericht zwei Fragen explizit offenlassen: erstens die Frage, ob eine Kapitalerhöhung stets zwingend sei, und zweitens, ob die übernehmende Gesellschaft immer mindestens 50% sämtlicher Aktien unter Kontrolle haben müsse. Das Bundesgericht ist in seiner Begründung leider auf diese beiden offenen Fragen eingegangen, obwohl kein zwingender Anlass hierfür bestand. Demgegenüber hat das Bundesgericht – im Unterschied zum kassierten Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts – keine Antwort zur Frage geliefert, ob die Einlage einer Beteiligung gegen Herausgabe von neuen Anteilsscheinen der übernehmenden Gesellschaft als Quasifusion qualifiziert, sofern die übernehmende Gesellschaft genau 50% der Stimmrechte an der übernommenen Gesellschaft hält.

Da Umstrukturierungen wirtschaftliche Vorgänge darstellen und deshalb eine wirtschaftliche Betrachtungsweise Platz greifen muss, sollte nach der vorliegenden Auffassung massgebend sein, ob die 50% der Stimmrechte an der übernommenen Gesellschaft ausreichend sind, um die Gesellschaft stimmenmässig zu beherrschen. Entsprechend ist entscheidend, wie die übrigen 50% verteilt sind. Werden die übrigen 50% der Stimmrechte vom Anteilsinhaber gehalten, der selbst die übernehmende Gesellschaft beherrscht, ist die Verbindung zwischen der übernehmenden und der übernommenen Gesellschaft derart intensiv, dass sie als Quasifusion qualifiziert. Ebenso sollte eine Quasifusion vorliegen, wenn die übrigen 50% der Stimmrechte im Streubesitz sind und nicht damit zu rechnen ist, dass jemals 100% sämtlicher Stimmen an der Generalversammlung vertreten sein werden.

Footnotes

1 Das Bundesgericht verneinte hier die Quasifusion hinsichtlich der Einbringung einer 62,2%igen Beteiligung, weil damit die Zweidrittelmehrheit nicht erreicht wurde, die gemäss dem damals geltenden Aktienrecht notwendig war, um Beschlüsse über Statutenänderungen betreffend Sacheinlagen, Übernahme von Vermögenswerten und Gründervorteilen zu fällen. Die ESTV hielt am Erfordernis der Zweidrittelmehrheit vorerst auch unter dem Geltungsbereich des neuen Aktienrechts fest (ESTV vom 9.9.1993, in: Praxis der Bundessteuern, Art. 6 Abs. 1 lit. abis StG). Die Praxis der ESTV änderte sich erst mit dem Kreisschreiben Nr. 5 vom 1. Juni 2004.

2 BGE 102 Ib 140, E. 3b.

3 Auch im Bundesgerichtsentscheid 2A.135/2000 vom 9. November 2001, E. 5b, wurde festgehalten, dass bei einer Quasifusion die übernehmende Gesellschaft «üblicherweise eine Kapitalerhöhung» vornehme, was unterstreicht, dass diese gerade nicht zwingend ist.

4 E. 3.4.

Previously published in Expert Focus 2015

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