Die Vorschriften über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei Konkurs- und Insolvenzverfahren waren Gegenstand neuerer Entwicklungen, insbesondere in der Europäischen Union, aber unter dem Einfluss der UNICITRAL auch anderenorts. Die Schweiz war daran – ausser im Bankenbereich – bis jetzt nicht beteiligt, hat nun aber moderne und kompetitive neue Vorschriften erlassen, die das gesamte anwendbare Rechtssystem vereinheitlichen.

1 EINLEITUNG

Das Europäische Recht (Verordnung 1346/2000, nun 2015/848) sieht seit langem den Grundsatz der automatischen Anerkennung von Entscheidungen zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über einen Schuldner und anderer damit zusammenhängender Entscheidungen "ohne weitere Formalitäten" vor.

Nicht so in der Schweiz, deren internationales Privatrecht seit jeher das "gemässigte" Territorialitätsprinzip festschreibt. Gemäss dem noch geltenden Recht muss jedes ausländische Konkursdekret oder jede andere damit zusammenhängende Entscheidung Gegenstand eines formellen gerichtlichen Anerkennungsverfahrens sein,

bevor die betreffende Entscheidung in der Schweiz wirksam und der Zugang zum Schuldnervermögen genehmigt wird. Die Anerkennung erfolgt nicht automatisch, da bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Das Schweizer Parlament hat kürzlich neue Vorschriften verabschiedet, um die Anerkennung von Konkursen und ähnlichen Entscheidungen zu erleichtern, die Anerkennungsverfahren zu vereinfachen und die Koordination mit ausländischen Verfahren zu verbessern.

2 DAS BISHERIGE ANERKENNUNGSVERFAHREN

2.1 ANWENDUNGSBEREICH

Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Insolvenzentscheidungen in der Schweiz richtet sich nach Art. 166 ff. des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht vom 18. Dezember 1987 (IPRG). Der Anwendungsbereich dieser Bestimmungen umfasst Konkursde- krete ausländischer Gerichte. Analoge Entscheidungen im Falle einer Insolvenz oder - gegebenenfalls einstweilige Massnahmen - werden ebenfalls nach diesen Bestimmungen anerkannt und vollstreckt.

Die Art. 166 ff. IPRG bilden eine spezielle Rechtsordnung, welche nur auf Entscheidungen im Zusammenhang mit der Insolvenz Anwendung finden. Ausländische Entscheidungen, deren Verfahrenseinleitung auf die Insolvenz zurückzuführen ist, fallen nicht in den Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens. Konkursdekrete oder ähnliche Entscheide sind in der Regel solche, die aufgrund der Insolvenz des Schuldners gefällt werden, die seine Verfügungsgewalt einschränken und deren Zweck die Zwangsliquidation oder Zwangsumstrukturierung seiner Schulden ist.

Ausländische Urteile gegen einen Schuldner, der eine bewilligungspflichtige Finanzmarkttätigkeit ausübt, werden nach dem Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen und der Bankeninsolvenzverordnung der FINMA anerkannt. Diese Entscheidungen fallen daher auch nicht in den Anwendungsbereich von Art. 166 IPRG. 2.2 AKTUELLE VORAUSSETZUNGEN DER ANERKENNUNG Das aktuelle Recht, welches mit der Revision vom 16. März 2018 geändert wird, sieht im Wesentlichen Folgendes vor:

  • Die Anerkennung wird von der ausländischen Konkursverwaltung – bzw. der entsprechenden Behörde im Insolvenz- und Sanierungsverfahren – oder von einem Gläubiger beantragt;
  • der Antrag wird beim zuständigen Gericht am Ort des Vermögens in der Schweiz gestellt;
  • das ausländische Dekret ist vollstreckbar;
  • das Dekret wurde im Staat des statutarischen Sitzes bzw. des Wohnsitzes des Schuldners erlassen;
  • es besteht Gegenrecht; in der Schweiz werden nur Insolvenzentscheidungen von Staaten anerkannt, die ihrerseits Entscheide schweizerischer Behörden anerkennen;
  • es liegen keine Verweigerungsgründe vor (Verletzung des Ordre public, unrechtmässige Vorladung, Verletzung wesentlicher Verfahrensgrundsätze, res iudicata).

2.3 RECHTSFOLGEN DER ANERKENNUNG

Im aktuellen Recht führt die Anerkennung eines ausländischen Insolvenzentscheides immer zur Eröffnung eines schweizerischen Hilfskonkurses, welcher sich auf das sich in der Schweiz befindliche Schuldnervermögen beschränkt. In diesem Verfahren werden einzig die pfandgesicherten und die privilegierten Gläubiger mit Wohnsitz in der Schweiz (Arbeitnehmer, Sozialversicherungen) befriedigt. Ein allfälliger Aktivenüberschuss wird nach Anerkennung des ausländischen Kollokationsplans in der Schweiz auf die ausländische Konkursmasse übertragen. Falls der ausländische Kollokationsplan in der Schweiz nicht anerkannt werden kann, wird der Aktivenüberschuss unter den nicht privilegierten schweizerischen Gläubigern des schweizerischen Hilfskonkurses verteilt.

Eine Anfechtungsklage kann in der Schweiz von einer ausländischen Konkursverwaltung nur nach Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets und nur subsidiär geltend gemacht werden, soweit die Konkursverwaltung des Hilfskonkurses und die privilegierten Gläubiger auf eine solche Klage verzichtet haben (Kaskadensystem).

2.4 DIE NIEDERLASSUNG ALS SPEZIALFALL

Über eine schweizerische Niederlassung einer ausländischen Schuldnerin kann aufgrund ihrer Betriebsschulden der Konkurs eröffnet werden. Daraus folgt, dass nach dem aktuellen Recht in der Schweiz zwei konkurrierende Verfahren bestehen können: Ein Hilfskonkurs, welcher das gesamte sich in der Schweiz befindende Vermögen der ausländischen Schuldnerin umfasst, sowie ein normales, auf das Vermögen der Niederlassung beschränktes Konkursverfahren. Im ersten Verfahren werden nur pfandgesicherte und privilegierte Gläubiger befriedigt, während im zweiten Verfahren alle Gläubiger befriedigt werden können.

3 NEUERUNGEN

3.1 ÖRTLICHE ZUSTÄNDIGKEIT

Künftig können Konkursdekrete sowohl des (Wohn-)Sitzstaates des Gemeinschuldners als auch des Staates, in dem der Gemeinschuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen (COMI) hat, in der Schweiz anerkannt werden. Neu orientiert sich das schweizerische Recht am europäischen Recht und dem Begriff des COMI. Die Anerkennung wird weiterhin verweigert, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt der ausländischen Verfahrenseröffnung seinen Sitz oder Wohnsitz in der Schweiz hatte, selbst wenn der Interessenmittelpunkt im Ausland liegt.

3.2 AKTIVLEGITIMATION

Unter dem bisherigen Recht konnten einzig die Konkursverwaltung und die Gläubiger, jedoch nicht der Schuldner selbst, die gerichtliche Anerkennung eines ausländischen Konkursdekrets beantragen.

Erscheint dies im Zusammenhang mit einem Konkursverfahren, bei dem der Schuldner grundsätzlich alle Verfügungs- und Handlungsbefugnisse verliert, folgerichtig, ist sie im Zusammenhang mit der Anerkennung von Entscheidungen in anderen Insolvenzverfahren (Vergleich, Nachlass, usw.) problematisch. In diesen Verfahren ist es oft der Schuldner, der die Situation als Erster – oder sogar als Einziger – kennt. Zudem sind bei Sanierungsverfahren die Befugnisse des Schuldners oft nicht oder nur zum Teil eingeschränkt.

Künftig kann auch der Schuldner, soweit ihm diese Befugnisse nach dem ausländischen Recht zukommen, das Gesuch um Anerkennung stellen.

3.3 STREICHUNG DES GEGENRECHTSERFORDERNISSES

Das Gegenrechtserfordernis wurde 1983 eingeführt, um "dazu beizutragen, die Kooperationsbereitschaft zu verbessern" (BBl 1983 I 451). Diese Voraussetzung musste vom Richter von Amtes wegen geprüft werden. In der Praxis führt das Gegenrechtserfordernis zu:

  • einer Erhöhung der Verfahrenskosten, indem der Antragsteller oft gezwungen wird, ein Gutachten zum Nachweis des Gegenrechts vorzulegen;
  • einer Verzögerung des Anerkennungsverfahrens aufgrund der Notwendigkeit, das Gegenrecht nachzuweisen;
  • einer Ungleichbehandlung der Gläubiger, wenn kein Gegenrecht vorhanden ist, da in diesem Fall die Anerkennung verweigert wird und die Gläubiger einzeln auf das Schuldnervermögen greifen können.

Das Parlament hat daher beschlossen, das Gegenrechtserfordernis zu streichen. Künftig wird es notwendig und ausreichend sein, dass das ausländische Dekret in dem Staat, in dem es ausgesprochen wurde, vollstreckbar ist, von der örtlich zuständigen Behörde erlassen wurde und kein Verweigerungsgrund besteht.

3.4 HERAUSGABE VON VERMÖGENSWERTEN OHNE HILFSKONKURS

Die Eröffnung eines Hilfskonkurses rechtfertigt sich nur, wenn es die Interessen der schweizerischen pfandgesicherten und privilegierten Gläubiger zu wahren gilt. Ohne zu schützende schweizerische Gläubiger macht die Eröffnung und Durchführung eines Hilfskonkurses keinen Sinn. Der Gesetzgeber entschied deshalb, die Übertragung von in der Schweiz gelegenen Vermögenswerten unter bestimmten Bedingungen auch ohne Eröffnung eines Hilfskonkursverfahrens zu gestatten. Im Einzelnen soll Folgendes gelten:

  • Im Anerkennungsantrag der ausländischen Konkursverwaltung muss ausdrücklich beantragt werden, dass auf die Durchführung eines Hilfskonkurses verzichtet werde.
  • In der Schweiz muss dennoch ein Schuldenruf gemacht werden, um sicherzustellen, dass kein Gläubiger mit Sitz oder Wohnsitz in der Schweiz geschützt werden muss.
  • Meldet sich kein zu schützender Gläubiger, kann das schweizerische Gericht sodann die Übergabe der in der Schweiz liegenden Vermögenswerte allenfalls zusammen mit Auflagen oder Bedingungen an die ausländische Konkursverwaltung genehmigen.

3.5 ANFECHTUNGSKLAGEN

Die Einleitung einer paulianischen Anfechtungsklage in der Schweiz durch eine ausländische Konkursverwaltung erwies sich als problematisch. Um zu verhindern, dass die ausländische Konkursverwaltung die Pflicht zur Einleitung eines Hilfskonkurses umgeht, konnten ausländische Anfechtungsurteile nicht anerkannt werden.

Zudem war die Einleitung einer Anfechtungsklage nur möglich, wenn ein Hilfskonkurs eröffnet wurde und die schweizerische Konkursverwaltung sowie die schweizerischen pfandgesicherten oder privilegierten Gläubiger auf eine Anfechtung verzichtet hatten.

Künftig kann ein ausländisches Anfechtungsurteil in der Schweiz anerkannt werden, sofern der Schuldner keinen (Wohn-)Sitz in der Schweiz hat.

3.6 VERHÄLTNIS VON NIEDERLASSUNGS- UND HILFSKONKURSVERFAHREN

Um die Eröffnung von Parallelverfahren zu vermeiden, wurde das Verhältnis zwischen dem Niederlassungskonkurs und der Anerkennung eines ausländischen Konkursdekrets bzw. dem Hilfskonkursverfahren angepasst.

Zunächst muss die Konkursanerkennung am Ort einer eingetragenen Zweigniederlassung beantragt werden. Zudem kann ein Konkursverfahren über eine Niederlassung nur eröffnet und durchgeführt werden, solange die Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets in der Schweiz nicht veröffentlicht wurde. Nach Veröffentlichung der Anerkennung ist ein Konkursverfahren über die schweizerische Niederlassung nicht mehr möglich.

Ist zum Zeitpunkt der Anerkennung bereits ein Konkursverfahren über die Niederlassung hängig, wird dieses eingestellt und alle Gläubiger werden in das Hilfskonkursverfahren einbezogen, es sei denn, das Verfahren ist zu weit fortgeschritten. Nur in letzterem Fall werden das Niederlassungs- und das Hilfskonkursverfahren parallel und gleichzeitig geführt.

4 FAZIT

Unter den Änderungen sind insbesondere die Aufgabe des Gegenrechtserfordernisses und die Herausgabe von Vermögenswerten ohne Hilfskonkursverfahren hervorzuheben. Mit dem Verzicht auf das Gegenrechtserfordernis wird eine aus Sicht der Gläubiger unverständliche und ungerechtfertigte schweizerische Eigenheit aufgegeben. Die Schweiz schliesst sich der langen Liste der Länder an, insbesondere in Europa, für welche die Anerkennung eines ausländischen Konkursdekrets nur eine Formalität darstellt.

Auch die Ungleichbehandlung, welche sich aus dem Fehlen des Gegenrechts ergibt, wird beseitigt: Ohne Anerkennung könnte jeder Gläubiger einzeln auf das Vermögen des Schuldners greifen, was den schnellsten und denjenigen Gläubigern zugutekäme, die über die zur Finanzierung des Vollstreckungsverfahrens erforderlichen Mittel verfügen.

Die Übergabe von Vermögenswerten ohne Hilfskonkursverfahren ist eine wichtige, aus der Bankenregulierung übernommene Neuerung. Sie setzt einer teuren Eigenartigkeit ein Ende. Tatsächlich musste die schweizerische Voll streckungsbehörde vor dem Inkrafttreten der neuen Bestimmungen den schweizerischen Hilfskonkurs durchführen, selbst wenn kein Gläubiger in der Schweiz ansässig war. Auch die anderen Gesetzesänderungen sind zu begrüssen, da sie ihren Teil zur Vereinfachung und Vereinheitlichung beitragen. Es ist jedoch bedauerlich, dass die Koordination mit ausländischen Behörden im neuen Recht zwar im allgemeiner Form vorgesehen ist, aber im Gegensatz zum europäischen Recht nicht zum Gegenstand besonderer Bestimmungen gemacht wurde.

Der Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Vorschriften ist noch nicht bestimmt.

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